Sonntag, 4. November 2018

Dänische Südsee November 2018

Windvorhersage
Anderthalb Jahre ist es her, dass ich mit Trenk zusammen auf Tour war. Entsprechend groß war meine Freude, als er einen gemeinsamen Termin in diesem November in Aussicht stellte. Auch Jörg würde dabei sein wollen - wie immer mit den üblichen meteorologischen Vorbehalten. Natürlich ist November kein Garant für stabiles Wetter, aber wenn man darauf setzt, sollte man vielleicht lieber irgendetwas mit "Indoor" als Vorsilbe machen. Die dänische Südsee hatten wir bald als Revier identifiziert, in dem wir uns austoben wollten. Sobald man unser Wochenende am fernen Horizont in der Wettervorhersage erkennen konnte, sah es erst supergut aus, dann eher so mittelgut, dann so, dass ich vorschlug, doch lieber direkt nach Fünen zu fahren, statt den Kleinen Belt auf eigenem Kiel zu queren - und schließlich pendelte es sich bei machbaren Wind- und akzeptablen Wetterverhältnissen ein.

Am Freitag sollten sechs Beaufort aus West wehen - wenn das nicht nach unserem Gusto ist! Jörg ist Rentner, ich arbeite mittlerweile nur noch vier Tage die Woche - und Trenk nur noch drei. Somit haben wir alle am Freitag frei und können uns entspannt für 11:30 Uhr in Fynshav verabreden. Da wir wissen, dass Trenk immer so früh da ist und dann mit trommelnden Fingern im Trockenanzug ungeduldig darauf wartet, dass wir endlich fertig werden, fahren Jörg und ich zeitig los, so dass wir schon um 11 Uhr am Treffpunkt eintrudeln. Trenk steht schon da - hat aber immerhin den Trockenanzug noch nicht an!

Kurz nach zwölf haben wir unsere Boote gepackt und am Slip ins Wasser gesetzt. Es dauert nur ein paar hundert Meter, bis überraschend hohe Wellen von Süden her auf uns zurollen. Da die aktuelle Windrichtung ziemlich westlich ist, haben wir eigentlich mit einem ganz allmählichen Anwachsen der Wellenhöhe gerechnet. Allerdings hat es die gesamten letzten Tage recht ordentlich mit südlicher Komponente geweht, so dass die gesamte Ostsee noch unter Schwingungen steht. Diese laufen hier ganz offensichtlich von Süden herein - was uns mehr als recht ist!

Ich habe auf dem Belt ja schon öfter sein sehr eigenes Wellenmuster bewundert, heute haben wir abermals Gelegenheit dazu. Die gesamte Überfahrt über haben wir es mit zwei fast neunzig Grad gegeneinander versetzten Wellensystemen zu tun: da ist zum einen das Muster, dass durch den aktuellen Wind hervorgerufen wird und mit zunehmenden Fetch immer größere Wellen erzeugt, und zum anderen mit den von der offenen Ostsee von Süden her einlaufenden schwellartigen Wellen. Die Fetchwellen sind zwar recht üppig, aber da die Einwirklänge des Windes nur maximal zehn Kilometer beträgt, bleibt die Amplitude doch im Rahmen. Die Schwellwellen sind dagegen deutlich größer: sie reichen mühelos bis an die Zwei-Meter-Marke heran.

Wir sind alle begeistert von den Verhältnissen und versuchen Spaß mit ihnen zu haben. Das ist mit vollbeladenen Booten nicht ganz anstrengungsfrei zu haben, aber wir bekommen die Boote immer mal wieder in ausgedehnte Surfs. Meine Spitzengeschwindigkeit war 19,5 km/h! Trenk fährt - mal wieder - ein neues Boot, einen Tarantella von Rockpool. In dem legt er auch wie von der Tarantel gestochen los und lässt uns nach Belieben in der Landschaft zurück.

Wir wollen zum Shelter auf Drejö fahren und natürlich können wir unser Ziel lange Zeit nicht sehen - weil es einfach zu weit weg ist. 27,16 Kilometer bei 96,14 Grad hatte ich vorher ausgemessen. Damit wir bei den Nachkommastellen für den Kurs einer Meinung sind, frage ich die anderen nach der Anzeige ihrer Kompasse. Jörgs und meiner zeigen denselben Wert an, wenn wir exakt in die gleiche Richtung paddeln - Trenks liegt 20 Grad daneben! Dafür leuchtet er jetzt im Dunkeln! Trenk hat neulich eine Lampe eingebaut mit extra dicker Batterie. Die hat halt unguten Einfluss auf die Anzeige. Man kann eben nicht alles haben!

Windmesswerte
Nach der Hälfte der Strecke passieren wir die Nordspitze von Ärö. Hier können die Roller von der offenen Ostsee nicht mehr so ungehindert reinlaufen, und ab nun haben wir es vorwiegend mit einer reinen Windsee zu tun. Die ist immer noch beeindruckend und eher nicht Anfänger-kompatibel, denn der Wind hat keinen Deut nachgelassen. Er weht etwas südlicher, als von der Vorhersage vorhergesehen, was aber noch als reiner Rückenwind gewertet werden kann. Allerdings wird auch hier wieder deutlich, dass heftiger Rückenwind zwar kurzzeitige Geschwindigkeitsrekorde ermöglicht, die Durchschnittsgeschwindigkeit gegenüber Flautenbedingungen aber enttäuschend wenig erhöht: wir sind über die 28km mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa 7,5km/h unterwegs gewesen.

Der Shelterplatz ist wie erwartet vollkommen verwaist und wir schmücken die bereit stehenden Bäume erst einmal mit unseren nassen Trockenanzügen, Vliesteddies und Ski-Unterwäsche. Jörgs und mein Trockenanzug sind halt nicht mehr so ganz hundertprozentig dicht. Entsprechend tropft unsere Wäsche lange vor sich hin, während Trenks eher klamm als nass ist. Aber Kokatat hat eben auch seinen Preis.

Insbesondere der Küchenshelter ist ein wahrer Segen. Im Sommer kann man problemlos draußen sitzen und zusammen kochen, aber im Winter ist das bei Dunkelheit, Kälte, Wind und  Feuchtigkeit ein eher ungemütliches Unterfangen. Hier sitzen wir entspannt und geschützt am Tisch und brutzeln uns Nudeln mit Thunfisch auf meinem gemütlich fauchenden Gaskocher.

Jörg und ich belegen je einen der hölzernen Familiensärge für die Nacht, während Trenk sich bereit erklärt hat, sein Zelt aufzubauen. In den Sheltern hat man recht viel Platz und sie sind erstaunlich winddicht - regendicht sind sie sowieso. Da die Temperaturen für November auch eher mild sind, wird es eine sehr gemütliche Nacht - nachdem ich mir die Strümpfe ausgezogen habe, weil mir zu warm war!

Für den Weg zurück haben wir zwei Tage Zeit. Heute am Samstag wollen wir nur bis zur Westseite von Lyö und dann am Sonntag von dort zurück nach Fynshav. Da wir also reichlich Zeit haben, geben Jörg und ich die Devise aus, dass wir erst los fahren, wenn unsere Klamotten trocken sind. Zwar kommt sogar die Sonne hervor und es weht ein leichter Wind - aber der Partialdruck des Wasserdampfes in der Luft ist leider nicht dergestalt, dass die Verdunstungsrate nennenswert über der Kondensationsrate liegt. Im Dilemma zwischen los wollen und in trockene Klamotten zu steigen, gebe ich die folgende Definition aus: "Trocken ist, wenn man wringt und es nicht mehr tropft!" Unsere Minen verziehen sich nur leicht, als wir in unsere derart für trocken erklärte Wäsche steigen.

Damit die Strecke heute nicht allzu kurz ist, fahren wir um die Südspitze von Drejö herum. Die Fahrt bis zum Segelhafen von Avernakö ist nicht besonders spektakulär, aber sie macht wieder einmal deutlich, dass ich jedesmal, wenn ich im Sydfynske Öhav unterwegs bin, eine gewisse Zeit benötige, mich an die Lage und Größe der Inseln zu gewöhnen und die Abstände zwischen ihnen. Hat man sich erst einmal kalibriert, findet man sich gut zurecht und verwechselt nicht mehr Svelmö mit Björnö. Aber ich bin trotzdem davon überzeugt, dass die Inseln früher näher beieinander lagen! Zum Glück weht heute nur ein mäßiger Wind. Trotzdem kommt uns das geheizte Wartehäuschen im Hafen von Avernakö mehr als recht, in dem wir uns aufwärmen, ausruhen und unser Pausenbrot mümmeln.

Auch Lyö hat sich im Laufe der Jahre weiter von seiner östlichen Nachbarinsel entfernt, und im Vorbeifahren an seiner Südküste erinnere ich mich an die katastrophale Umrundung der Insel vor fünf Jahren bei Windstärke sieben. Heute sehen wir schon aus recht großer Entfernung einen anderen Paddler, der aber penetrant auf der Stelle stehen bleibt. Schließlich müssen wir doch einsehen, dass es sich schlicht um einen ortsfesten riesengroßen Stein nahe am Ufer handelt - an den ich mich aber leider nicht die Bohne erinnern kann. Obwohl der Getränkekistenhafen nicht mehr existiert, finden wir punktgenau die Stelle zum Anlanden.

Der Schuppen ist diesmal deutlich aufgeräumter als in den Jahren zuvor, vor allem ist der Saunaraum komplett leer. Hier arrangieren wir einige der umherstehenden Kisten als Tisch - und schon haben wir auch hier eine gemütliche Stube für unser Abendessen. Ich habe wieder meinen Gaskocher dabei inklusive der Kartusche, die mir schon auf den drei Touren davor treue Dienste geleistet hat. Ich bin ja noch neu im Gasgeschäft und weiß nicht, wie lange so eine Kartusche hält. Natürlich habe ich alle anderen Gaskocherinhaber, die mir begegnet sind, gefragt, wie lange man denn damit reicht. "Ewig!" war immer die gleichlautende Antwort. Unser Abendessen ist leidlich warm - da läuft gerade die Ewigkeit ab! Es ist insofern eine beruhigende Erfahrung, als dass das Ablaufen kein sich elendig lange hinziehender Prozess ist, sondern einem ersten Schwächeln ca. zehn Sekunden später schon das Aushauchen des letzen Moleküls folgt. Zum Glück war es Ultra-Schnellkoch-.Reis! Aber für den Tee nach dem Essen müssen wir uns bei Trenk einschmeicheln.

Als positive Erfahrung möchte ich vermelden, dass eine Wägung der Kartusche im jungfräulichen Zustand 391 Gramm ergab. Eine Nachwägung der der leeren Kartusche brachte exakt 230 Gramm weniger zur Anzeige - das ist das aufgedruckte Gewicht der enthaltenen Gasmenge! Immerhin kann man so überprüfen, wie voll so eine Gaskartusche ist - und damit, wie lange die Ewigkeit noch dauert.

Der zweite gravierende Nachteil, den ich eigentlich schon kannte und der vor ca. 30 Jahren Grund für meine Zuwendung zu benzingetriebenen Exemplaren war, ist der Umstand, dass eine Gaskartusche bei Betrieb im Winter  einfach eiskalt wird - Boyle und Mariotte sei Dank! So musste ich schon gestern und auch heute die Blechbüchse immer mit meinen Händen wärmen, damit überhaupt genug Druck zustande kommt. Das will ich eigentlich auch nicht unbedingt haben. Somit steht mein Beschluss für die Zukunft fest: im Sommer Gas - im Winter Benzin. Punkt!

Für den Tee am Sonntag Morgen muss wieder Trenks Benzinkocher herhalten. Die Windvorhersage für heute hatte ziemlich konstante neun Meter pro Sekunde im Köcher, eine solide Fünf, aber genau quer zu unserer Fahrtrichtung. Das sollte also keine allzu großen Blasen an die Finger treiben. Seltsamer Weise begegnen wir den größten Wellen erst relativ kurz vor unserem Zielort Fynshav. Trenk macht die Probe aufs Exempel und stellt sein Paddel bei Durchgang eines besonders großen Exemplars senkrecht auf seine Spritzdecke. Ich kann aus dem benachbarten Wellental nur noch sein oberes Paddelblatt sehen. Das sind deutlich über anderthalb Meter Wellenhöhe - nicht schlecht für kleine fünf Beaufort!

Als ich  mich mit Trenk vor Monaten auf diesen Termin verabredet hatte, war mir klar, dass wir vom Wetter nicht viel erwarten dürften. Was uns dann geboten wurde, war weit mehr als das: Milde Luft- und Wassertemperaturen, kein Regen, Wind zwischen optimal bis akzeptabel und immer mal wieder Sonnenschein! Wie gut, dass nicht alle wissen, dass die perfekten Paddelwochenenden im November liegen!

Sonntag, 7. Oktober 2018

Langes Wochenende zur Einheit (3/3)

In der Nacht hat es tatsächlich "aufgefrischt". Mein Zelt rüttelt sich und schüttelt sich. Es wirft zwar kein Säckchen hinter sich, aber seine Stoffwände schlagen mir immer wieder ins Gesicht. Es tanzen acht Bi-Ba-Beaufort um mein Zelt herum. Irgendwann wird sogar mein Kocher umgeweht - und den hatte ich unter der Apsis deponiert. Na - mal sehen, wie sich das morgen früh darstellt.

Mein erster Blick am Morgen gilt dem Flaggenmast. Gut - es weht - aber nicht mehr heftig. Eher lieblich. Eigentlich viel zu lieblich. Dabei sollte der Wind am Vormittag erst allmählich zurückgehen. Und vor allem sollte der Wind genau aus Norden kommen - das hier ist Westen! Das war so nicht geplant! Segler nennen so eine Windrichtung "halber Wind" - ich nenne das "halber Spaß". Und wenn das Nachlassen im selben Tempo weitergeht, habe ich in zwei Stunden Flaute - und danach vermutlich sogar Gegenwind. Ich werde mich bemühen, so schnell wie möglich aufs Wasser zu kommen, um noch möglichst viel vom Wind mitzunehmen.

Mein Segel hatte ich schon am Abend vorher sorgfältig aufgeriggt. Wenn man alleine unterwegs ist, gibt es schließlich keine Chance, hinterher etwas zu richten, wenn es nicht optimal verzurrt ist. Ich stelle zwar keinen neuen Rekord auf, aber um 9:10 Uhr aktiviere ich meinen GPS-Tracker, lasse mich in mein Boot gleiten und selbiges ins Wasser. Man braucht eben immer grob zwei Stunden vom ersten Öffnen der Augen, bis man auf dem unseren Sport tragenden Medium schwimmt. Wenn man hektisch ist und schnell macht, schafft man es auch in anderthalb Stunden. Aber drunter ist nicht und ich will einfach nicht hetzen.

Direkt nach Verlassen der Schlei setze ich mein Segel. "Fock!" macht es - und die Sache steht! Ich merke gleich, dass es eine spürbare Unterstützung produziert. Es ist das erste Mal in diesem Jahr, dass ich mein Segel benutze und ich bin eigentlich ganz froh, dass es nicht ganz so unwirtlich windet. So kann ich mich erst wieder an das Gefühl gewöhnen und alle Handgriffe in Ruhe durchgehen.

Meinen Kurs lege ich so, dass ich die südwestliche Sperrgebietstonne des Schießgebietes vor Schwansen ansteuere. Danach werde ich direkt Bülk aufs Korn nehmen. Täte ich das von Anfang an, müsste ich ein kleines bisschen durch das Schießgebiet fahren. Das will ich nicht. Als ich an Olpenitz vorbeiblickend eine ferne Küstenlinie erkenne, halte ich sie zuerst für die östliche Begrenzung von Schwansen. Viel Kummer gewohnt von der extrem schlechten Sicht gestern bin ich bass erstaunt, als ich erkennen muss, dass es sich bereits um Steilküste des Dänischen Wohlds handelt. Da kann ja navigatorisch nicht mehr viel schiefgehen!

Je weiter ich mich von der Küste entferne, desto größer werden die aus nördlicher Richtung heranrollenden Wellen. Es sind noch Nachwehen des großen Wehens von heute Nacht. Es macht richtig Spaß, mit meinem Segel durch sie hindurch zu pflügen und sie abzureiten. Immer wieder bekomme ich das vollbeladene Boot ins Surfen. Das Zusammenspiel von Wellen, Windstärke und -richtung ist wunderbar passend für meinen Kurs und meine eingerostete Praxis im Einsatz der Besegelung. Ich werde zunehmend kecker und verliere alle Bedenken, dass ich besonders vorsichtig sein muss. Ich fange an, dies als Testfahrt für eine Solo-Überfahrt von Bülk nach Ärö zu sehen.

Anfangs liefere ich mir lange ein totes Rennen mit einem Segler. Der hat allerdings nur sein Großsegel gesetzt und hühnert länglich an seiner Fock herum. Als er die endlich fertig gesetzt hat, ist er bereits leicht schneller als ich. Als dann der Wind noch etwas zunimmt, habe ich keine Chance mehr gegen ihn.

Die Windvorhersage war tatsächlich nur in Teilen richtig. Die Windspitze in der Nacht war korrekt vorhergesagt. Danach sollte der Wind stetig nachlassen und aus Nord bzw. sogar Nord-Nord-Ost wehen. Die Richtung ist aber eher Nord-Nord-West, und das Nachlassen hat irgendwann nachgelassen. Er ist wieder deutlich frischer geworden und weht mit kleinen sechs Beaufort. Mittlerweile sind um mich herum wieder überall weiße Bäckermützen zu sehen - aber ich fühle mich immer noch bombensicher! Eher mache ich mir Sorgen, dass ein hin und wieder langsam an mir vorüber ziehender Segler sich Sorgen um mich macht. Aber keiner fährt so dicht an mich heran, dass er meinen Gesichtsausdruck erkennen könnte. Könnte einer ihn sehen, würde er erkennen, dass Paddeln für mich durchaus nicht nur Mittel ist, um Ziele zu erreichen, die meiner Seele schmeicheln. Es ist mindestens ebenso sehr Selbstzweck, der auch meiner Seele ein Lächeln ins Gesicht malt.

Nach drei und einer Viertelstunde erreiche ich den Strand am Bülker Leuchtturm. Das entspricht einer Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa 8,5 km/h. Ganz ordentlich für ein voll beladenes Boot! Ohne Segelunterstützung ist das schwerlich zu schaffen. Sagte ich schon, dass den ganzen Tag über die Sonne geschienen hat?

Samstag, 6. Oktober 2018

Langes Wochenende zur Einheit (2/3)

Zwei Pappnasen aus Pinneberg parken schon vor Sonnenaufgang ihren BMW auf der Zeltwiese vor meiner Holzhütte. Dann machen sie sich lautstark rhabarbernd daran, sich und ihre Ausrüstung fürs Angeln fertig zu machen. Ich habe mein Zelt gestern Abend kurzerhand im Shelter aufgebaut und es ist für sie gut ersichtlich, dass da zehn Meter neben ihnen jemand noch nicht mit Schlafen fertig ist. Ignorantenpack!

Die Nacht war unglaublich warm. Trotzdem ist heute Morgen alles in dichten Nebel gehüllt. Das kommt mir nicht ungewöhnlich vor, denn zu dieser Jahreszeit herrscht morgens gerne mal dicke Suppe, bevor sich der Tag später dann in strahlendem Blau präsentiert. Ich will direkt zum Leuchtturm Kalkgrund und dann um das Schutzgebiet vor der Geltinger Birk herum erst nach Falshöft und dann nach Schleimünde fahren. Der Wind soll heute insgesamt schwach bleiben, aber später aus südlicher Richtung wehen. Da ist es gut, wenn ich nicht so viel Zeit verliere, indem ich irgendwelche Kurven fahre.

Die Entfernung bis Kalkgrund sind knappe neun Kilometer - die Sicht beträgt anfangs etwa neun Dekameter, da sollte  man den Kurs kennen. Zum Glück befinde ich mich ja hier in Dänemark - und nach dem Grenzübertritt immer noch in der Flensburger Förde - da gilt die Seeschifffahrtsstraßenordnung nicht, sondern die Kollisionsverhütungsregeln, nach denen ich durchaus auch bei diesen Sichtverhältnissen mit meinem Boot auf dem Wasser sein darf. Wenn ich dann in "richtig" deutsche Gewässer komme, wird die Sache mit dem blauen Himmel schon greifen. Gewissenhaft wie ich bin, stecke ich mir mein Rundumlicht griffbereit in die Tasche meiner Schwimmweste - nur für den Fall!

Der Kurs zum Leuchtturm beträgt 105 Grad. In Kajak-gemäßer Formulierung heißt das: etwa mittig zwischen 90 und 120 Grad. Natürlich habe ich mein GPS-Gerät dabei und mein Zwischenziel einprogrammiert. Aber wozu habe ich einen Kompass? Und Versatz durch Strömung oder Wind ist hier nicht in nennenswertem Maß zu erwarten. Also los ins Unsichtige.

Nach etwa einem Kilometer halte ich inne, weil ich ein Motorengeräusch höre. Ziemlich leise aber auch ziemlich deutlich. Sehen kann ich erst nix, und dann - ganz kurz und an der Grenze der Sichtbarkeit schneckt sich ein Motorboot vorbei. Vermutlich hat es auch etwas gesehen oder zumindest geahnt, denn es sondert sicherheitshalber ein von der langen Nichtbenutzung heiser gewordenes Schallsignal ab. Dann höre ich wieder nur das Morsezeichen des Leuchtturms: kurz-kurz-lang-kurz, kurz-kurz-kurz. Das sind die Buchstaben F und S und die kommen tatsächlich von Kalkgrund. Wenn ich das schon aus neun Kilometern so deutlich höre, graut mir etwas davor, später direkt unter diesem dröhnenden Tongeber durchzufahren.

Nebel from Mathias Weber on Vimeo.

Schiffsverkehr findet nicht statt - zumindest ist keiner wahrzunehmen. Möglicherweise gibt auch einfach niemand die vorgeschriebenen Schallsignale, weil jeder glaubt, er sei hier eh alleine unterwegs, während eigentlich das Wasser voller Schiffe ist. Es gibt aber keinen Grund für diese Annahme, denn der Wind ist mittlerweile so schwach, dass man jede Bugwelle sehen und jedes Motorgeräusch hören müsste. Das einzige, wovon es wimmelt, sind Insekten. Die fliegen überall herum und sitzen auf der Wasseroberfläche. Ich frage mich,was die hier wollen, nehme sie aber als willkommene Peilmarken, um nicht ständig den Kompass fixieren zu müssen, sondern den Blick mal etwas weiter schweifen lassen zu können, auf eine ferne Fliege, die auf dem Wasser sitzt. Ärgerlich nur, wenn so ein Insekt auffliegt, bevor ich es erreicht habe! Irgendwann verstummt das "FS" ohne für mich ersichtlichen Grund.

Der Leuchtturm ist zu sehen!
Nach genau einer Stunde meine ich, den Leuchtturm erkennen zu können. Er liegt etwas außerhalb meiner Fahrtrichtung, aber durchaus im erwarteten Rahmen. Er ist übrigens wirklich nicht deutlicher zu sehen, als auf dem Foto! Obwohl es einen Umweg für mich bedeutet, ändere ich meinen Kurs und fahre direkt auf ihn zu.

Wenn man sich meine GPS-Spur im Nachhinein ansieht, habe ich einen durchschnittlichen Kurs von etwa 110 Grad gehalten. Das ist nicht schlecht für eine Sollkurs von 105 Grad. Den Leuchtturm erkannt habe ich aus einer Entfernung von ca 1.800 Metern. Wenn ich in meiner Kompass-Richtung weiter gefahren wäre, hätte ich mein Ziel um ca. 900 Metern verfehlt - das ist akzeptabel für eine Entfernung von neun Kilometern, wobei ich mir nicht einmal Mühe gegeben habe! Dass die Sicht jetzt übrigens knappe zwei Kilometer beträgt, könnte tatsächlich der Grund dafür sein, dass der Leuchtturm sein Tröten eingestellt hat - schließlich beginnt Nebel erst bei einer Sichtweite von unter tausend Metern!

Alles Männchen!
Wie als hat das Wetter nur meine Navigationskünste testen wollen, wird die Sicht deutlich besser, als ich den Leuchtturm passiere. Recht bald ist schon die Küste der Geltinger Birk zu sehen und ich kann nach Sicht navigieren. Der Leuchtturm Falshöft markiert etwa die Mitte meines heutigen Tagespensums, und dort mache ich erst einmal Pause. Die Strecke von hier bis nach Schleimünde ist eher meditativ und ereignislos. Allerdings sind beeindruckend viele Wasservögel unterwegs, die sich durch ihre übertrieben große Fluchtdistanz eindeutig als Wintergäste bzw. Durchreisende zu erkennen geben. Es sind Schwärme von Ringel-, Kanada- und Graugänsen, vor allem aber riesige Herden von Eiderenten. Komischerweise sind es bei letzteren alles nur Männchen - bis auf je ein unidentifizierbares Exemplar pro Schwarm, das im wesentlichen schwarz ist. Vielleicht ein Jungtier, ein Fremdenlegionär einer anderen Art oder eben doch einfach ein Weibchen, das die Aufsicht über den Schwarm führt.

Das Pappelwäldchen von Schleimünde
Leider dreht der Wind, wie es die Vorhersage vorhergesehen hat, immer weiter nach Süden, so dass er mir schließlich ziemlich entgegen weht. Das macht sich deutlich in meiner Geschwindigkeit bemerkbar, die um einen guten Stundenkilometer auf etwa 6,5 zurückgeht. Vielleicht spielt aber auch die Tatsache mit hinein, dass ich seit vier Stunden auf dem Wasser bin.

Als ich mich meinem Etappenziel nähere, lässt die Sicht schon wieder deutlich nach. Die Sache mit dem blauen Himmel hat nicht stattgefunden. Wenn das morgen auch nur annähernd ähnlich aussieht, kann ich mich nicht mehr mit dänischen Gewässern und Sonderregelung für die Flensburger Förde rausreden - dann muss ich mir etwas überlegen.

Zwischen den Molen, die die Einfahrt in die Schlei flankieren, drängelt sich das Wasser hektisch in den engen Ostseefjord. Hier schnellt meine Geschwindigkeit kurzzeitig bis auf fast zehn Stundenkilometer hoch! Wie nicht anders erwartet, bin ich der einzige Kajaker, der heute hier vor Anker geht. Aber was an Segelschiffen im Hafen liegt, ist mehr als überraschend - und es kommen ständig mehr Boote herein. Ich hätte gedacht, dass für die meisten Segler die Saison so gut wie beendet ist.

Auf der Lotseninsel ist nicht viel los - die Giftbude hat zu und der Hafenmeister ist nicht da. Ich schmeiße einen losen Zehn-Euro-Schein in seinen Briefkasten und wasche erst mal meine tomatenversifte Hose mit heißem Wasser gründlich aus. Dann mache ich diverse Spaziergänge über das in alle Richtungen sehr eingeschränkte Areal, um meinen hartgesessenen Hintern wieder etwas aufzulockern. Während ich so meinen Verrichtungen nachgehe und mir schließlich mein Hühnerfrikassee bereite, werden zwei große Gruppen Tagestouristen von einer beflissenen jungen Dame mit allerlei lokalen Insiderinformationen gefüttert: Dass die Öhe früher wirklich eine Insel war und eben deshalb auch zu Recht Lotseninsel heißt, dass der hier wohnende Seeadler zwar Kormorane fängt, sie aber nicht frisst, sondern nur aufschlitzt, um an den enthaltenen Fisch zu kommen, warum das Pappelwäldchen denkmalgeschützt ist und dass der Hafenmeister von Maasholm Werder-Bremen-Fan ist und deswegen der Leuchtturm vor kurzem als Geburtstagsgeschenk grün-weiß gestrichen worden ist.

Im Moment herrscht fast Flaute, die Wettervorhersage sieht für heute Nacht stürmischen Wind vor, der aber morgen früh schon wieder stark abflauen soll. Er soll aus stramm nördlicher Richtung kommen, und so nehme ich mir vor, möglichst früh aufzustehen, um ihn optimal ausnutzen zu können. Damit das klappt, gehe ich früh ins Bett - die Lotseninsel habe ich eh schon zig-mal abgeschritten!

Freitag, 5. Oktober 2018

Langes Wochenende zur Einheit (1/3)

Lange schon habe ich mir den Donnerstag nach dem Mittwoch der Einheit freigenommen. Da ich freitags nun immer Frei-Tag habe, würde da eine super-lange Reihe von freien Tage zusammenkommen, die paddeltechnisch genutzt werden will. Eine Kreuzfahrt durch die Dänische Südsee unter herbstlich milder Sonne habe ich mir vorgestellt, mit irgendwie kooperativen Winden oder zumindest ohne widrige.

Schlimmer hätte die Aussicht dann gar nicht sein können, als der Termin in den Vorhersagebereich rückte: durchgängig Winde jenseits von sechs, teilweise bis acht Beaufort aus West. Für den gesamten Zeitraum! Als Zugabe viel Regen und wenig Temperaturen. So sehr ich auch überlegte und Alternativen erwog - ich sah mich schon zu Hause sitzen und weiter dem niesligen November beim Einzug in mein Gemüt zuzusehen.

Erst am Dienstag war klar, dass der gesamte Wind sich auf den Mittwoch und der Regen auf den Donnerstag konzentrieren würden. Freitag wenig Wind, Samstag so gut wie gar keiner - und vor allem am Sonntag kräftiger Nordwind! Gerettet!

Marie-Theres fährt mich am Nachmittag nach Habernis am Westende der Geltinger Bucht. Das Boot ist schnell gepackt - ich habe allerhand Überflüssiges zu Hause gelassen, was ich sonst nur mitnehme, wenn ich mit einer Gruppe unterwegs bin. Entsprechend viel Platz ist in meinem Boot noch. Trotzdem ächzt Marie-Theres, als sie es das kleine Stück bis zum Wasser tragen muss.

Ich will den Shelter, von dem Trenk mir erzählt hat, ausprobieren und halte daher einen deutlich westlicheren Kurs als sonst. Es soll eine Metalltreppe vom Strand zu ihm hinauf führen, das ist mein Anhaltspunkt. Es scheint die erhoffte milde Herbstsonne und die Temperaturen liegen bei unglaublichen 19 Grad!

Der Shelterplatz ist schnell gefunden, aber er ist längst nicht so entlegen wie der Übernachtungsplatz ein Stück weiter im Wald. Als ich die Holzhütte in näheren Augenschein nehme, beschließe ich aber doch hierzubleiben und sie zu nutzen. Die Hütte hat keinen Blick aufs Wasser, dafür wird sie aber bis zum letzten Moment von der Abendsonne beschienen. Fürs Abendessen wähle ich den Holztisch direkt am Wasser, das ist romantischer. Die Nudeln zu kochen, ist keine große Tat - allerdings kippt mir die Tüte mit der Tomatensauce so unglücklich um, dass etliches davon unter dem Tisch landet. Dass ich große Teile davon auch auf meiner Hose verteilt habe, merke ich leider nicht gleich, so dass der Brei schön einmassiert wird und ich aussehe wie ein inkontinenter Penner.

Ich bin nur knapp sechs Kilometer gepaddelt - und doch Lichtjahre entflohen - und vor allem und ganz unzweifelhaft: angekommen! Die Luft ist unglaublich lau, am Horizont sendet der Leuchtturm von Kalkgrund stolz und stoisch sein Licht in die Runde. Das seines Kollegen von Kegnes sieht dagegen fast etwas eingeschüchtert aus. Im dunkler werdenden Rund blinkt noch dies und das und alles in beruhigender Langsamkeit. Nur ein Seezeichen in der Nähe meines Startortes blinkt ganz hektisch. Es hat eine Frequenz von etwa zwei Hertz, was im Spektrum der Nautik etwa dem entspricht, was in der Optik unter extrem harter Röntgenstrahlung geführt wird. Die Lichter des Campingplatzes bei Habernis liegen so dicht über dem Horizont, dass sie flimmern wie eine animierte Weihnachtsbeleuchtung. Insgesamt ist die Szenerie aber sehr sparsam illuminiert. Und alles fein ordentlich sortiert: was ortsfest ist, hat blinkende Lichter, was sich bewegt, führt feste Lichter. Nur ein ortsfestes, konstant grünes Licht, etwa auf halber Strecke zwischen Kalkgrund und dem Mars, bringt Unordnung in diese Harmonie. Erst, als nach einiger Zeit glucksende Geräusche aus weiter Ferne herangetragen werden, die man als bemühte Startversuche eines Dieselmotors interpretieren könnte und sich wenig später der Campingplatz auf das ortsfeste grüne Licht zubewegt, ist die Ordnung wieder hergestellt.

Still ruht die See - es sind kaum Geräusche zu hören. Das Rauschen der Restwellchen ist fast das einzige, was die Ohren davor bewahrt, ihr eigenes Rauschen wahrzunehmen. Hin und wieder fliegt ein Schwarm Gänse über mich hinweg. Wie zum Teufel landen die jemals wieder? Die können doch nicht bis zur Morgendämmerung in der Luft bleiben! Und wenn sie jetzt zur Landung ansetzen, würden sie doch mit jeder Kuh kollidieren, die im Wege steht. Oder wie sehen die nachts? Ich jedenfalls würde nicht mal mehr zum Shelter zurückfinden ohne meine Stirnlampe.

Es treten immer mehr Sterne hervor, sogar die Milchstraße zeigt sich zögerlich. Dieses neblige Band, das ich als Kind immer so bewundert habe, ohne zu wissen, dass jeder Nebeltropfen in ihr eine Sonne darstellt, dieses Band traut sich in Kiel nicht mehr aus der Deckung. Schon für diesen Anblick hat sich die Aktion gelohnt.

Bei all dem Frieden, den ich so genieße und der mir so gut tut, überlege ich, ob mir das Paddeln vielleicht nur Mittel ist, um dieses Ziel zu erreichen, oder ob es auch Selbstzweck ist. Im Moment kann ich es nicht entscheiden und genieße nur, dass mir dieses Mittel solche Ziele ermöglicht.

Samstag, 25. August 2018

Kurzes Wochenende auf Hooge

Eine so große Lücke in meinem Paddeltagebuch hat es noch nie gegeben: der letzte Eintrag stammt von Anfang Februar! Aber nicht nur meine paddlerischen Aktivitäten auch die Planung der Touren und anderweitigen Unternehmungen im Verein habe ich dieses Jahr verpasst - sie ging in den Wirren meines verkorksten Frühjahres verschütt. Um nicht ganz nackt und ohne Hoffnung dazustehen, habe ich dann irgendwann beschlossen, im Stillen und abseits der offiziellen Gleise eine Nordseetour zu planen. Mitpaddler würde ich schon finden. Unseren eigenen Wanderwart zum Beispiel und den des Nachbarvereines, weil beide noch keine Nordseeerfahrung haben und Förderung unbedingt verdienen. Später fragte Peter noch nach, ob ich dieses Jahr etwas in westlicher Richtung unternehmen würde - er würde gerne mal seine Tochter im Zweier mit auf die Nordsee nehmen. Schließlich hat Ulrich sich derart beflissen fortentwickelt und Symptome nachhaltiger Infektion mit dem Seekajak-Virus gezeigt, dass ich auch ihm die Chance anbieten wollte, einmal unser Tidengewässer kennen zu lernen. Recht spät hat Sven das betreffende Wochenende noch frei von der Familie bekommen, und ich habe ihm gerne zugesagt. So war ein gutes Trüppchen beisammen, und ich hatte lange Monate Zeit, mich während eines nicht enden wollenden Jahrhundertsommers auf eine Flucht aus dem Alltag und einen Ausflug in die Natur zu freuen.

Erste Risse bekam die Vorfreude durch die Absage der beiden Wanderwarte. Der eine musste auf eine Tour zu einem befreundeten Kanu-Verein in Bremen, der andere hatte die Unnachgiebigkeit der Tide noch nicht vollständig erfasst und konnte seinen Terminkalender damit nicht in Einklang bringen. Fünf Teilnehmer sind immer noch genug - eigentlich sogar viel intimer und intensiver.

Die Wettervorhersage sieht eine Woche vor dem Termin eher wie ein Software-Fehler aus: während die Jacken an der Garderobe seit Monaten Spinnweben ansetzen, man es schon als ungewöhnlich empfindet, wenn das Thermometer einen Tag mal nicht die 25 Grad überschreitet, man das Gefühl von Regen auf der Haut nachhaltig vergessen hat und man "braun" antwortet, wenn man nach der Farbe von Gras gefragt wird, sollte es an diesem Wochenende ergiebig regnen, heftig wehen und die Quecksilbersäule die 15 Grad Marke nicht erreichen. Zur Sicherheit waren noch Gewitter angekündigt - besonders an der Nordsee!

Die Verantwortlichen werden den Softwarefehler bestimmt in den nächsten Tage fixen, war meine feste Überzeugung. Also ließ ich die Planung unbeirrt weiterlaufen. Am Mittwoch sah es immer noch nicht überzeugend besser aus, so dass wir vereinbarten, den Wetterbericht am Freitag selbst abzuwarten, um dann mit genauerem Blick auf die Lage zu entscheiden.

Donnerstag Abend meldete sich noch die Gruppe mit Nina, Olav und Johanna, dass sie sich wegen der unsicheren Lage gerne uns anschließen wollten und nicht auf eigene Faust von "Schlüttmoorsiel" ("Johannisch" für Holmersiel!) aus losfahren. Das war mir sehr recht, denn damit hatte ich ein besseres Gefühl.

Die Lage am Freitag war dann aber bescheiden! So leid es mir tat, ich sagte den Start für Freitag ab und verschob ihn auf Samstag um dieselbe Zeit. Peter zog es vor, mit seiner Tochter per Fähre nachzukommen und dann nur die Rückfahrt am Sonntag auf eigenem Kiel zu machen. So ist unsere Gruppe auf übersichtliche drei Nasen zusammengeschrumpft, denn die "Schlüttmoorsieler" haben eh nur Freitag/Samstag Zeit, aufs Wasser zu gehen.

Weil die Tide ja samstags eine Stunde später läuft als freitags, sind wir mit unserer Abfahrtszeit deutlich im entspannten Bereich. Bis Bredsted geht auch alles gut, bis auf die üblichen Zweifel an den bekannten neuralgischen Punkten, wo ich mir immer mit dem Abbiegen nicht sicher bin. Aber ein, zwei Ehrenrunden in den Kreiseln richten das Ganze unauffällig. Allerdings ist die Straße am Deich entlang, die uns nach Schlüttsiel bringen soll, voll gesperrt und eine Umleitung über Niebüll ausgeschildert. Davon hat uns Google-Maps kein Sterbenswörtchen gesagt! So schmilzt ein großer Teil unseres Vorsprungs durch unnötiges Gegurke durch die nordfriesische Landschaft wieder dahin.

Trotzdem erreichen wir den Hafen noch so rechtzeitig, dass ein Einsetzen an der Rampe gut möglich scheint. Zügiges Packen und Umsetzen des Autos bescheren uns gerade noch soviel Wasser über der Kante, dass wir die Boote problemlos einsetzen können. Der Wind ist lieblich, als wir um halb fünf aus dem Hafen treiben, etwa drei Beaufort. Die Halligen - Habel, Gröde und Langeness - sind alle noch an ihrem angestammten Platz und werden kurz benannt, um allen die Orientierung zu erleichtern. Der Wettervorhersage gehorchend wird der Wind immer stärker und erreicht bis zu unserer Ankunft auf Hooge etwa fünf Beaufort. Das ist kein wirkliches Problem und bietet wenigstens auf den letzten Metern noch die Gelegenheit, ein bisschen durch spritzende Wellen zu fahren. Trotz des Gegenwindes kommen wir gut voran. Wie von mir vorgegeben führen alle Beteiligten eine Seekarte auf dem Vordeck mit - bis auf den Fahrtenleiter! Zwar hatte ich die Karte noch rausgesucht und auch die Deckstasche bereit gelegt, aber schließlich doch vergessen, sie einzupacken. Peinlich!

So fahre ich mehr intuitiv, habe aber keine wirklichen Bedenken, das bald sichtbare Hooge zu treffen. Die einzige Schwierigkeit ist, rechtzeitig ins Hooge-Fahrwasser zu gelangen, bevor der Wasserstand soweit gefallen ist, dass man die nördlich davon liegende Sandbank nicht mehr überqueren kann. Aber in einiger Entfernung ist eine große Gruppe Paddler zu sehen, die genau auf unserem Kurs liegt. Da ist also auf jeden Fall noch genug Wasser. Erst als sich die Paddelgruppe beim Näherkommen als eine Horde Watvögel entpuppt, die dort mit ihren endlich langen Beinen auf dem Grund des Meeres stehen, biege ruckartig nach links ab - gerade noch rechtzeitig, um bei weniger als knietiefem Wasser ins Hooge-Fahrwasser zu wechseln.

Die Zeltwiese ist pappenleer. Eigentlich sind die Wetterbedingungen ja nicht schlecht - sie sind es nur, wenn man sie in Relation zu den Verhältnissen setzt, die die vergangenen Monate durchgängig geherrscht haben. Es soll uns recht sein. Jeder sucht sich ein Fleckchen, das ihm gefällt, und fängt an, sein Zelt aufzubauen. Da trudeln auch schon Peter und Mirja ein, die quasi gleichzeitig mit uns die Hallig erreicht haben - nur eben mit der Fähre. Sie sind noch kurz im Friesenpesel vorbeigegangen und haben gefragt, wie lange man dort noch etwas zu essen bekommt. "Um acht Uhr macht die Küche zu!", ist die Antwort. "Bis zehn vor Acht muss die Bestellung abgegeben sein!". Es ist jetzt kurz nach sieben und wir stehen mit halb aufgebauten Zelten in Paddelmontur auf der Wiese rum - das wird knapp! Kurzerhand geben wir Peter unsere Bestellwünsche mit, und er macht sich auf den Weg, im Pesel Tisch und Essen für uns sicher zu stellen.

Das Lammfilet ist wie immer lecker und wir bekommen ungefragt dreierlei Beilagen in hinreichender Menge geliefert: Kartoffeln, Pommes und Rösti! Wir bleiben nicht unnötig lange, weil um diese Jahreszeit das Tageslicht ja nicht mehr unbegrenzt verfügbar ist und wir noch die Zelte fertig aufbauen müssen. Als wir uns auf den Weg zurück machen, pieselt es bereits leicht, aber das ist noch kein Grund, eine Regenjacke anzuziehen. Wir richten unsere eigenen Stoffhütten fertig ein und helfen Peter und Mirja kurz, ihr Zelt in der einsetzenden Dunkelheit aufzubauen. Kaum sind alle Heringe in den Wiesenboden gezwungen, setzt richtiger Regen ein - und wir verschwinden ein jeder hinter seinem eigenen Reißverschluss.

Ich habe extra meinen neuen Gaskocher mitgenommen, den ich unbedingt unter Expeditionsbedingungen ausprobieren muss. Nach etwa zwanzig Jahren Leben mit einem fauchenden Benzinkocher, der mit seiner halbmeterhohen Stichflamme beim Entzünden alles wegfackelt, was ihm in die Quere kommt, ist das Kochen mit so einem Gasbrenner ein echtes Kinderspiel! Man dreht den Gashahn auf, hält das Feuerzeug dran und - pfuchchchch - brennt das Teil! Aber das mit dem Fauchen ist ehrlich gesagt nicht viel leiser als bei meinem alten Benziner! Da ich schon reichlich gegessen habe, mache ich mir nur einen heißen Kakao und genieße ihn, während der Regen gegen mein Zelt pladdert. Der Regen schafft eine perfekte Isolation von der Außenwelt: man hört nix als sein Pladdern und nichts und niemand wird ihn durchdringen. Es ist, als wäre man weit weg auf einer einsamen Insel... Augenblicklich stellt sich eine umfassende Behaglichkeit ein.

Es regnet die ganze Nacht hindurch und der Wind weht mit unverminderter Stärke. Gegen frühen Morgen dreht er einmal sehr ordentlich auf, um sich dann deutlich zu beruhigen. Als ich genug geschlafen habe und aus dem Zelt blicke, sitzt Ulrich dort bereits in der Morgensonne und genießt seinen ersten Kaffee. Kein Regen, kein Wind, dafür Sonne und weiße Wolken am Himmel. Irgendwann tapert sogar der Hafenmeister über den Steg und ich laufe gleich zu ihm, um die Sache dem Hafengeld zu regeln. Der gibt mit aber nur den Schlüssel für das Seglerheim, so dass ich das alleine regeln kann. Allerdings passt der Schlüssel weder für die Duschen, die Toiletten noch den Gemeinschaftsraum und ich stehe erst einmal etwas ratlos in der Gegend rum. Erst als Mirja herzhaft gegen die Tür drückt, springt diese einfach auf und wir können eintreten. Das Windmessinstrument zeigt gute vier Beaufort aus leicht nördlichem West, die manchmal in den Fünfer-Bereich reinragen.

Das auflaufende Wasser kulminiert erst um 14 Uhr in Schlüttsiel und unsere Fahrtzeit wird bei unter drei Stunden liegen. Das bedeutet einen entspannten Vormittag mit ausgiebigem Frühstück und geruhsamen Packen. Zum Glück hält sich das Wetter auch, so dass alle Ausrüstung knochentrocken in die Stauräume wandert.

Im tiefen Wasser des Hooge-Fahrwassers kann der Wind gute Wirkung entfalten und einige spritzende Wellen aufschieben. Das macht allen Spaß. Um die Eigenheiten des Tidengewässers mit seinen Sandbänken und Prielen anschaulich zu machen, lasse ich über die mittlerweile überflutete Sandbank in die benachbarte Süderaue wechseln. Im Bereich des flachen Wassers gibt es zum einen keine Wellen und zum anderen lässt unsere Geschwindigkeit deutlich nach - denn hier strömt es halt nicht so scharf.

Leider hat der Wind bereits spürbar nachgelassen, als wir wieder tiefes Wasser erreichen und so ist das mit dem Spritzen und den Wellen nicht mehr halb so schön. Auf halber Strecke machen wir für eine gute Viertelstunde Pause - und werden immer noch mit satten drei Stundenkilometern Richtung Westen geschoben. Das Sielgebäude ist wie immer unnötig früh zu sehen und macht die letzten Meilen lang. Peter meint, auf Höhe von Oland einen Schweinswal gesehen zu haben, aber sonst haben wir auf dieser Tour nicht einen einzigen Seehund gesehen.

Im Zielhafen ist das Wasser schon gut über die Rampe gelaufen, so dass der Ausstieg einfach und elegant zu machen ist.

Ein kurzes aber nichts desto trotz erholsames Wochenende - auch wenn das Cafè im Hafen mittlerweile seinen Betrieb eingestellt hat und wir keinen viel zu süßen Abschlusskakao trinken können!

GPS-Daten hier.

Sonntag, 4. Februar 2018

Schwentine im Schnee

Schnee war vorhergesagt. Ein bisschen - um 13 Uhr. Und Nordwind - ein lauer Fünfer. Als ich auf dem Weg zur Halle an der Seebadeanstalt vorbei fahre, lässt der Blick auf die Förde nur eine Konsequenz zu: Dichtes Schneetreiben und heftige Reflexionswellen - also: Schwentine! Jörg teilt mir bei Ankunft gleich mit, dass auch er allenfalls auf unserem Rückzugsfluss paddeln wird - keinesfalls aber Richtung Norden auf der offenen Förde. Johanna braucht noch ein bis
zwei Argumente aus den Mündern ihrer Senioren-Begleiter, bis auch sie sich dreinfügt.

Als wir unsere Boote in den Schnee vor der Halle legen, kann man das gegenüberliegende Ufer noch einwandfrei erkennen. Als wir zur Abfahrt fertig sind, steckt alles ab Fördemitte im dicken Dunst des Schneetreibens. Da können wir unmöglich losfahren, und so drehen wird die Boote auf den Kopf und verbringen noch eine gute dreiviertel Stunde mit Diskussionen über die Situation und zurückliegende Ereignisse. Dann ist das Schneetreiben licht genug, dass eine Überfahrt kein unverantwortliches
Wagnis mehr ist.

Allerdings geht schon Wind und seine nördliche Richtung schiebt Wellen zusammen, die nicht unerheblich sind. Das macht keinem von uns Probleme, aber der waagerecht treibende Schnee setzt Jörgs Brille von außen zu und von innen beschlägt sie durch die Kälte. So kann er die heranrauschenden Wellen zwar hören, aber irgendwann nicht mehr sehen. Mehrmals muss er innehalten, um sich wieder Sicht zu verschaffen.

Sich an der Umtragestelle aus dem Boot zu winden, ist mühsam, und Jörg meint, er hätte sich beinahe zwischen Steg und Boot gesetzt - das wäre nicht gut gewesen. Die Schwentine präsentiert sich dann wunderbar verschneit und ruhig. Mit zunehmender Strecke wird die Gegenströmung stärker und wir geben uns redlich Mühe, jedes noch so kleine Kehrwasser auszunutzen. Ich glaube zwar, dass die meisten davon nur eingebildet sind, aber sie helfen trotzdem! Es gibt einige knifflige Stellen, bei denen unglücklich in den Fluss gefallene Bäume die Pfadfindung etwas knifflig gestallten, aber wir kommen überall problemlos durch.

Das letzte Stück vor der Oppendorfer Mühle verlangt uns wirklich alles ab, denn das viele Regenwasser der letzten Wochen und Monate will alles gleichzeitig ins Meer und kommt uns ungeduldig entgegen. So schlage ich vor, direkt hinter der Straßenbrücke unsere Stullen-verdrück-Pause zu machen und uns den Rest bis zum Kraftwerk zu schenken. Hier legen wir unsere obligate Literaturstunde ein, in der wir darüber philosophieren, ob "Über allen Wipfeln ist Ruh" von Ludendorff(*) ist oder von Eichendorff oder doch von Goethe.

*(Nicht, dass hier noch einer auf falsche Gedanken kommt: Ludendorff war General und hat keine Gedichte hinterlassen!)

Johanna merkt während unserer Pause noch an, dass das schwierigste am Fahren auf der Schwentine doch die Zweige sind, die allenthalben in die Strömung hängen und das Fahrwasser arg einengen. Nach der Stärkung freue ich mich, dass wir uns nur noch in der Hauptströmung halten müssen, und dann spült es uns schon ganz von alleine dreiviertel des Wegs nach Hause. Das geht die ersten paar Hundert Meter auf ziemlich gut - bis der Ruf "MATHIAS!" durch das verschneite Tal schallt. Eines der Kajaks hinter mir schwimmt kieloben im Wasser, daneben unsere junge Freundin, die die Sache mit den Zweigen noch mal genauer untersucht hat. Der Klassiker: in schneller Strömung um die Kurve nicht frühzeitig genug in die Strommitte gepaddelt, von einem Ast festgehalten worden, so dass das Boot kippt, stützen ist schwierig, rollen im Geäst noch schwieriger und das eiskalte Wasser tut ein Übriges, die Besatzung im Null-Komma-Nix aus dem Boot zu scheuchen.

Jörg ist bei ihr und assistiert beim Wiedereinstieg. So kann ich mich darum kümmern, die Thermoskanne wieder einzusammeln, die sich alleine stromab auf den Weg gemacht hat. Das Entleeren des vollen Cockpits funktioniert nicht wie gedacht, denn Johannas Pumpe tut nicht, was sie soll. Eingerostet oder so. Ich habe zwar eine zweite, funktionierende dabei, aber wir entschließen uns, einfach ans Ufer zu gehen und die Sache gründlich zu richten. Dort schicke ich Johanna erst einmal in den Wald, um sich warmzulaufen, während ich ihr Boot lenze und herrichte. Zwar hat ihr Trockenanzug dichtgehalten, aber ihre Hände, Füße und der Kopf sind eiskalt. Das Wasser der Schwentine ist im Winter immer noch kälter als das der Förde und dürfte nicht viel über null Grad haben.

Bis zum Klausdorfer Kanuklub sind es zwei bis drei Kilometer stromab, das hält Johanna nach ihrer Aufwärmrunde ohne Weiteres für schaffbar. Dort wollen wir dann sehen und entscheiden, ob wir sie dort deponieren und später abholen, oder ob sie mit uns komplett zurück paddeln kann.

Leider ist es ab nun vorbei mit meinem Traum vom gemütlichen sich mit der Strömung treiben lassen! Johanna paddelt, was das Zeug hält - und wenn ihr nicht warm ist - mir ist es definitiv! Am Klausdorfer Verein herrscht sogar einiger Betrieb, so dass eine Deponierung gar kein Problem wäre, aber Johanna sieht keine Notwendigkeit dafür und will den Rest der Strecke selbst paddeln. Mist - also muss ich bis zum Ende der Strecke keulen!

Zum Glück müssen wir an der Umtragestelle nicht aussteigen und der Wind auf der Förde hat auch etwas nachgelassen. Trotzdem bin ich ziemlich groggy, als ich am heimischen Steg anschlage. Johanna stellen wir gleich unter die warme Dusche, wo sie auch wieder auftaut und durchwärmt. Auch wenn dieser Zwischenfall beileibe kein Drama war, zeigt er doch deutlich, dass eine Schwimmeinlage im Winter sofort eine ernste Notsituation darstellt. Ich hatte früher immer eine zusätzliche Vliesjacke im Boot, ich werde in Zukunft wieder einen Beutel mit kompletter zweiter Garnitur mitnehmen. Nur für den Fall!