Montag, 20. Mai 2013

Samsö rund: Blind zurück (4/4)

Die Nacht war ausgsprochen ruhig - keine lärmenden Schafe, keine turtelnden Tauben, keine piependen Matze. Aber: am Morgen tröpfelt leise Regen auf unsere Hütten. Ein erster Blick nach draußen bleibt nach wenigen Metern im dichten Nebel stecken. Das wird interessant: auch heute haben wir 15 Kilometer freies Wasser vor uns, aber momentan nur 300 Meter Sicht. Mit GPS würde auch ein Blinder zurück finden - aber das liegt ja daheim in der Teeküche! Was soll's - wofür sind wir gewiefte Navigatoren?

Wir sind heute extra vor dem Aufwachen aufgestanden, um früh in Hov anzukommen, denn wir haben ja noch den gesamten Rückweg nach Kiel vor uns. Außerdem haben wir den meisten Proviant bereits aufgegessen, so dass das Packen mittlerweile recht flott von der Hand geht. Um neun Uhr sitzen wir in unseren Booten und einigen uns auf einen Kurs, den wir vorerst durch die jetzt ca. 500 Meter Sicht steuern wollen.

Wir wollen versuchen, die beiden fast auf dem direkten Kurs liegenden Untiefentonnen zu treffen, damit wir zwischendurch eine Referenz haben, wo wir uns befinden. Es ist einfach unglaublich, wie wenig Sinn man für eine absolute Richtung hat. Wir halten unsere Kompasse fest im Blick und steuern stur den angesagten Kurs, aber wir haben ständig das Gefühl, als würden wir einen recht engen Kreis nach rechts fahren. Ohne Kompass wären wir hier hoffnungslos aufgeschmissen.

Unsere Blicke suchen ständig nach der ersten Tonne, die wir ansteuern wollen. Das Problem ist, dass wir nicht wissen, wie viel wir in welche Richtung versetzt werden. Also müssen wir unseren Erwartungswinkel, innerhalb dessen das ersehnte Objekt auftauchen soll, ständig anpassen. Man muss schon Vertrauen behalten und darf sich nicht verunsichern lassen, denn ständig denkt man: "Nun müsste sie aber doch auftauchen!". Irgendwann erscheint eine Struktur, die sich schüchtern vom Nebel abhebt. Das ist unsere Tonne! Natürlich gar nicht dort, wo wir sie vermutet hätten, sondern deutlich weiter östlich. Also haben uns Strom und Wind viel stärker versetzt, als wir erwartet haben.

Wir fahren erst direkt zur Tonne, einigen uns auf einen deutlicheren Vorhaltewinkel und spielen dann das Spielchen "Tonne, komm raus!" von neuem. Nach Plan und Karte müssten wir uns die gesamte Zeit in recht tiefem Wasser aufhalten. Irgendwann wird die Farbe des Wassers aber immer grünlicher, was uns sagen will, dass wir näher an den Svanegrund heran gekommen sind, als für den richtigen Kurs gut gewesen wäre. Also korrigieren wir unsere Vorgabe nochmals und fahren fortan in direktem Weg auf unser noch lange unsichtbares Ziel zu. Gewiefte Navigatoren eben!

Wir müssen noch eine Pause in der Nähe der flachen Insel vor Hov machen, weil wir sonst viel zu früh ankommen würden und unsere Brote noch gar nicht gegessen hätten: Wir sind die gesamte Zeit mit konstant fast acht Stundenkilometern durch den Nebel geglitten! Als ich meine Sachen vom Boot ins Auto trage und auf die vorgesehenen Behälter verteile, entdecke ich in meiner roten Packtasche mein fertig programmiertes und prall geladenes GPS-Gerät!

Sonntag, 19. Mai 2013

Samsö rund: Schnell nach Endelave (3/4)

Früh am Morgen treffen sich eine Handvoll Tauben in den Kiefern über unseren Zelten, um sich ausgiebig über ihre letzten Abenteuer in Bulgarien und Rumänien auszutauschen. Übers Brüten und Gurgeln mit Gurkenwasser, über gutmütige Bullen und Gourmets in gruftigen Grotten. Ansonsten ist der Strandskoven Campingplatz sehr schön gelegen und hat ein Herz für Kajaker. Wir zelten auf einer Rasenfläche direkt am Wasser. Außerdem gibt es hier bemerkenswerte Brötchen: die sind voller Teig statt voller Luftblasen und schmecken ausgesprochen lecker! Heute soll es bis nach Endelave gehen und auch das ist nicht eben um die Ecke, so dass wir unser Frühstück wieder mit großer Sorgfalt gestalten.

Der Himmel ist heute nicht so blau wie gestern, eher verschlafen grau. Aber es ist trocken und nicht kalt. Der Südteil der Insel scheint während der Wikingerzeit als Friedhof gedient zu haben, denn immer wieder treffen wir auf Grabstätten oder merkwürdige Landschaftsformen, die nur durch Grabstätten erklärt werden können, die durch die Landwirtschaft verschont werden. Der leichte Wind weht östlich, so dass er nicht hindert und uns sanft schiebt, nachdem wir die Südostspitze umrundet haben.

Auch die Südspitze der Insel ist dünn besiedelt und hat seichte Strände und Kiefernwälder. Den am Südwestende gelegenen Leuchtturm haben wir bereits nach weniger als zwei Stunden erreicht. Man kann hier zwar wunderbar anlanden, aber alles andere ist ausdrücklich verboten und auch nicht ohne Probleme zu realisieren. Bevor es die 15 Kilometer über das offene Wasser geht, wollen wir eine Pause machen und uns etwas die Beine vertreten. Auf dem Weg zum Leuchtturm kommt uns ein Däne entgegen, der uns anspricht, weil wir in unserem Aufzug etwas merkwürdig aussehen. Er spricht immerhin ein wenig deutsch, so dass wir tatsächlich etwas von dem verstehen, was er zu erzählen hat. Auch er gibt einen erheblichen Teil seiner Lebensgeschichte preis, dass er in Marstall als Fleischer gearbeitet hat und auch zur See gefahren ist. Als er erfährt, dass wir mit unseren Kajaks nach Endelave fahren wollen, lacht er lauthals und tippt sich mit dem Finger an die Stirn. Aber immerhin meint er, dass wir kräftige Körper hätten und es schon schaffen würden.

Man kann den Leuchtturm besteigen und hat von oben einen wunderschönen Blick über die Insel und das Meer. Aber man sollte die Besteigung besser ohne Schwimmweste um den Oberkörper angehen, denn die Wendeltreppe ist dermaßen eng, dass man Gefahr läuft, darin stecken zu bleiben und Probleme bekommt, wenn man nicht panikfest ist. Außerdem sollte das Wetter besser sein, denn der Himmel ist immer noch grau, so dass der Raps auf den Feldern nicht leuchten will. Und Endelave ist auch nicht zu sehen, weil es für den Dunst viel zu weit entfernt liegt.

Wir sind gewiefte Navigatoren. Mit Seekarte und Kompass gewappnet ist es kein Problem für uns, eine Insel anzusteuern, die doppelt so weit entfernt liegt, wie die Sicht zu gucken erlaubt. Außerdem haben wir immer noch einen leichten Hauch von Wind im Rücken, der uns in die richtige Richtung hilft. Mit der beachtlichen Geschwindigkeit von konstant zwischen sieben und acht Stundenkilometern erreichen wir viel früher und müheloser als erwartet nach weniger als zwei Stunden die Insel Endelave. An seiner Nordspitze ist ein von der Meeresströmug aufgespültes Flach, das wir für unsere Übernachtung ausgewählt haben.

Es ist noch eine Gruppe von Spaziergängern am Strand unterwegs, die nach Steinen, Muscheln und anderen seltenen Dingen sucht. Nachdem wir unsere Boote hinter den schützenden Strandwall  getragen haben, kommen sie auf uns zu, um ihre Sorge über ein merkwürdiges Gebilde auf der anderen Seite des Flachs auszudrücken. Es handelt sich um eine offensichtlich vertriebene Boje, die so schief im Wasser liegt, dass man sie für einen gestrandeten Surfer halten könnte. Wir versichern, dass wir die Sache mit unserem Fernglas untersuchen und uns gegebenenfalls kümmern werden. Mit dabei ist auch Mathilda, die so fasziniert von den beiden merkwürdigen Gestalten ist, dass sie jeden von uns ausgiebig bei der Hand fassen muss, um zu glauben, dass wir echt sind. Nach einem ausgiebigem Spaziergang durch die nähere, verlassen wirkende Umgebung, brate ich mir zum Abendbrot endlich die zwei im Tuppertresor mitgebrachten Eier mit dem fetten Speck, einer von Jörg beigesteuerten Salami und den beiden Frühlingszwiebeln aus meinem Gewächshaus.

Samsö rund: Lang zum Campingplatz (2/4)

Der Morgen begrüßt uns mit strahlendem Sonnenschein. Wir lassen uns alle Zeit der Welt mit dem Frühstück, denn wir wollen Urlaub machen. Frisch gestärkt machen wir uns auf, einen kleinen Spaziergang das Steilufer entlang zu unternehmen. Die Nord-Westspitze der Insel ist Brutgebiet für Gryllteisten. Das ist eine Lummenart, die sonst nur in arktischen Gefilden vorkommt. Es ist das erste Mal, dass ich solche Viecher zu Gesicht bekomme und sie gefallen mir ausgesprochen gut. Sie sind sehr scharf gezeichnet, haben leuchtend rote Beine und sind im allgemeinen paarweise unterwegs, wobei sich die Partner immer wieder gegenseitig zuschnäbeln. Allerdings können wir keine Brutpaare entdecken. Möglicherweise deutet das intensive Schnäbeln darauf hin, dass sie noch gar nicht mit dem Brüten angefangen haben.

Neben den Lummen schwirren Unmengen von Uferschwalben durch die Luft, die mit ihren Nesthöhlen die komplette Steilküste durchlöchert haben. Wir treffen auf einige Hasen und an den Hängen brütende Möven. Ein Idyll, das eine ruhige, gelassene Stimmung erzeugt.

Während wir unsere Sachen zusammenpacken, kommt der örtliche Bauer in riesigen Gummistiefeln mit seinem Hund auf unseren Lagerplatz zumarschiert. Er spricht uns gleich an - auf Dänisch. Ich kann ihm mit meinen Schwedisch- und Norwegisch-Kenntnissen verständlich machen, dass wir seine Sprache leider so gar nicht verstehen, und dass wir Deutsch und Englisch als Austauschformat anbieten könnten. Deutsch oder Englisch kann er nicht bieten, dafür stört es ihn aber nicht im Geringsten, dass wir kein Dänisch verstehen und er erzählt uns in aller Seelenruhe geduldig seine Lebensgeschichte. Auch wenn ich manchmal einen Brocken verstehe und meinerseits etwas zum Besten gebe - Unterhaltung kann man das zwar nicht nennen, aber herzlich war es trotzdem!

Wir haben den ganzen Tag Zeit und kein ambitioniertes Ziel. Zwar gibt es hier einen Tideneinfluss, aber der klaut einem nicht das gesamte Wasser, und auch das Wetter wirft keine Falten auf unsere Stirn, so dass wir in aller Gemütsruhe unsere Geschäfte erledigen, die Boote startklar machen und dann das im Dunst der Ferne liegende Samsö anpeilen. Nachdem wir in das freie Wasser zwischen den Inseln gekommen sind, peilen wir die äußerste Nord-West-Spitze von Samsö an und steuern konstant 75 Grad. Wind und Strom sorgen dafür, dass wir immerhin um 15 Grad versetzt werden. Auch wenn der Strom hier nicht wirklich ein Problem darstellt, vernachlässigen kann man ihn jedenfalls nicht.


Der Nordteil von Samsö ist kaum besiedelt und wunderschön hügelig. Mit seinen grünen Weideflächen sieht er aus wie ein überdimensionaler Golfplatz. Ganz im Norden wird die Insel von reichlich flachem Wasser eingefasst, auf das die Wellen des offenen Kattegats prallen. Trotz des mäßigen Windes sehen wir schon von weitem schäumende Brecher. Hinter der Spitze, an der zum offenen Wasser gelegenen Ostseite, können wir die Wellen genießen, die der beständige Ostwind auf seinem langen Weg von Schweden her zusammengeschoben hat. Ab hier haben wir auch den Wind im Rücken und wir können die Küste gemütlich nach einem geeigneten Pausenplatz absuchen.

Ein solcher ist auch bald gefunden und im kräftig wärmenden Sonnenschein liegen wir im grünen Gras, blicken auf das blaue Meer und genießen den weiten Himmel. Mit Jörgs Fernglas können wir schon unser nächstes Zwischenziel ausmachen: Die Durchfahrt zwischen der Insel Kyholm und der langen und schmalen Halbinsel Besser Rev.


Die Fahrt dahin ist lang und das Besser Rev ist es ebenfalls und nach unserer Erinnerung müsste kurz danach der Zeltplatz liegen, den wir für heute anlaufen wollen. Hätte ich mein GPS-Gerät dabei, wüssten wir ganz genau, wie weit es ist und wo er liegt. So aber müssen wir unsere geschätzte noch zurückzulegende Strecke ständig verlängern und erreichen ziemlich lustlos den wirklich schön gelegenen Campingplatz von Ballen. Ein kleiner Abendspaziergang führt uns in den zwei Kilometer weiter südlich gelegenen Ort mit dem wunderschön verträumten Hafen. Es ist Pfingsten und die Segelboote haben alle ihre verfügbaren Wimpel in die Wanten gesetzt.

Freitag, 17. Mai 2013

Samsö rund: Kurz nach Tunö (1/4)

Letztes  Wochenende war ich noch auf großer Tour und in der Woche lag natürlich wieder jede Menge an, was erledigt werden musste, so dass ich keine wirkliche Muße zum Packen meiner Siebensachen finden konnte. Aber am Donnerstag Abend habe ich bis spät in die Nacht hinein noch mein GPS programmiert, eine neue Karte für Dänemark darauf geladen, Routen und Wegpunkte eingegeben, alle Akkus für die vielen elektronischen Geräte, die ich mitführe, aufgeladen und die restlichen Lebensmittel besorgt. Dann habe ich meine gesamte Ausrüstung bis auf die verderblichen Lebensmittel und das GPS-Gerät in die Bootshalle gefahren, da ich am nächsten Morgen nur noch ein Fahrrad zu Verfügung haben würde. Heute morgen im Büro habe ich dann die Lebensmittel in den Kühlschank in der Teeküche deponiert. Das GPS, das oben drauf lag, habe ich vorher auf den Tisch gelegt.

Wir haben ein Treffen um halb drei vereinbart. Das Beladen kostet nicht viel Zeit und die Fahrt durch Hamlets Land verläuft reibungsfrei, so dass wir wie geplant gegen 18:00 Uhr in Hov sind. Direkt nördlich des Fähranlegers ist ein optimal geeigneter Strand, um unsere Pfingsttour zu beginnen. Im Hafen warten Unmengen dänischer Pfadpfinder mit riesigen Rucksäcken auf das Einlaufen der Fähre, die sie nach Samsö bringen soll.

Nachdem ich all meine Habseligkeiten im Boot verstaut habe, will ich mein GPS-Gerät an seinen Platz bringen und einschalten. Leider ist es in keiner meiner Kisten zu finden, so dass mir langsam dämmert, dass ich es wohl auf dem Tisch in der Teeküche vergessen haben muss! Ärgerlich, ärgerlich, ärgerlich! Wo ich doch so sorgfältig alle relevanten Wegpunkte einprogrammiert hatte! Nun gut, immerhin habe ich noch meinen GPS-Tracker, der unsere Spur aufzeichnen wird. Ich schalte ihn ein und muss erkennen, dass er gerade noch genug Saft hat, um einen kläglichen Piepton hervorzustoßen und den Schriftzug "Batterie total leer" auf sein Display zu schicken, bevor er seinen Dienst quittiert. Das Dumme an diesem Gerät ist, dass es sich, nachdem man es geladen hat, nicht automatisch ausschaltet, wenn man es von der Ladequelle trennt. So hatte es also schon 24 Stunden Laufzeit hinter sich, bevor die Tour überhaupt gestartet ist.

Die Teilstrecke nach Tunö hatte ich während der Vorbereitung eigentlich nur als kleine Abendgymnastik eingestuft. Das sollten nur um die 15 Kilometer sein und damit keine große Tat. Allerdings weht doch etwas Wind von vorne - nicht wirklich viel, aber spürbar. Und irritierender Weise herrscht hier ein nicht zu vernachlässigender Strom, der auch gegen uns arbeitet. Wir beobachten immer wieder unsere Abdrift mit Hilfe von Deckpeilungen, für die wir die wenigen unterwegs angeordneten Tonnen und die dahinter sichtbare Insel nutzen. Das ist die erste Überraschung, mit der wir nicht gerechnet haben: Wir befinden uns eben bereits im Kattegat und da ist der Tideneffekt der Nordsee nicht mehr zu vernachlässigen. Da unsere Seekarten auch nicht wirklich auf dem aktuellen Stand sind, kommt hinzu, dass wir lange vergeblich nach Untiefentonnen Ausschau halten, die offensichtlich längst eingezogen worden sind.

So ist es nicht wie gedacht höchstens neun Uhr, als wir auf Tunö an Land gehen, sondern bereits halb zehn. Der Übernachtungsplatz soll an einem Weg zum Strand liegen. Da wir nicht mehr großartig motiviert sind, noch weit zu fahren, suchen wir den ersten Weg, der zum Strand führt und erklären diese Stelle zum Übernachtungsplatz. Im hohen, aber trockenen Gras bauen wir unsere Zelte auf und bereiten das Nachtmahl.



Samstag, 11. Mai 2013

Kiel Flensburg Teil 3: Von Broager nach Flensburg

Am Morgen ist das Wetter noch unentschieden. Über Dänemark liegt dichte, dunkle Bewölkung, über Deutschland scheint die Sonne. Zum Glück hat der Wind abgenommen, denn es soll heute ausnahmslos nach Westen gehen und das wäre mit dem Wind von gestern nicht erquicklich.

Mit dem Frühstück und den anderen Verrichtungen sind wir zur gleichen Zeit fertig, wie die Gruppe aus Hannover. Bei denen ist die Frage der Bekleidung auch durchaus unterschiedlich beantwortet worden. Die Antworten reichen von Trockenanzug bis kurze Hose mit kurzärmliger Jacke. Wir sind gleichzeitig auf dem Wasser und haben das gleiche Ziel, die Ochseninseln. Aber wir ziehen es doch von Anfang an vor, unser eigenes Tempo zu fahren. Wir werden uns ja "später" noch einmal treffen.

Auf der Förde herrscht Rum-Regatta. Da ist viel altes Holz auf dem Wasser und noch mehr weißes Tuch. Zu so einem Anlass gehört eigentlich eine frische Brise und vor allem Sonnenschein. Beides ist heute nicht zu haben - der Himmel ist grau und der Wind lustlos. Trotzdem macht es Spaß, den alten Schiffen zuzusehen und ihre interessanten Riggs zu bewundern. Ich kann sogar das erste Mal in meinem Leben einem Rah-Segler aus nächster Nähe dabei zusehen, wie er ein Wendemanöver durchführt. Ausgesprochen anspruchsvoll und interessant!

Auf den Ochseninseln machen wir eine ausgiebige Pause sowie den obligaten Spaziergang über die Insel. Kaffee und Kuchen muss auch sein. Als wir uns wieder auf den Weg machen wollen, läuft auch die Hannoveraner Gruppe ein. Es war schon die richtige Entscheidung, dass wir unser eigenes Tempo gefahren sind.

Während wir in Richtung Flensburg laufen, verdunkelt sich der Himmel immer weiter. Wir passieren die großen Mengen an Traditionsseglern, die sich hier im Hafen eingefunden haben und treffen auf einen, der mit seinem Seitenschwert die Wendetonne geknutscht hat. Da ist einiges an Reparatur fällig in der nächsten Zeit. Kurz vor dem definitiven Ende der Förde finden wir einen klitzekleinen Sandstrand, an dem wir unser Boote aus dem Wasser holen. Ich organisieren kurz unsere Rückholung und Peter eine Duschmöglichkeit im Hafengebäude. Während wir das Salz und die Kälte der letzten Tage mit wohlig warmen Wasser aus Haaren und Körper duschen, setzt draußen sintflutartiger Regen ein, der auch die folgenden Tage nicht aufhören soll. Ein besseres Timing für unsere Tour hätte wir gar nicht treffen können.

Freitag, 10. Mai 2013

Kiel Flensburg Teil 2: von Schleimünde nach Broager

Am Morgen lacht die Sonne. Der Wind kommt noch aus einer Richtung, die der Vorhersage genau ins Gesicht bläst. Für den gesamten Tag ist aber recht kräftiger Westwind angesagt, so dass wir unseren ürsprünglichen Plan, in die Schlei hinein zu fahren, aufgeben. Stattdessen überlegen wir, nach Flensburg zu paddeln. Leider haben wir beide von diesem Gebiet keine Seekarten dabei, so dass wir nicht genau beurteilen können, wie weit das eigentlich ist. Mir kommt die Idee, die anderen Paddler danach zu fragen, schließlich geht man ja nicht auf Tour, ohne Karten vom Zielgebiet mitzuführen. Und tatsächlich: sie haben einen Jübermann dabei, dem wir alle notwendigen Informationen für unseren geänderten Plan entlocken können.

Peter fotografiert kurzerhand die für uns relevanten Seiten mit seinem Super-Duper-Kann-alles-Handy, damit wir im Zweifelsfalle noch mal nachsehen können. Im Gespräch mit der anderen Gruppe erkennt Peter im Gegenüber anhand dessen charakteristischen Ohrringes einen Eingeborenen der Insel Norderney. Da Peter dort einmal gearbeitet hat, folgt ein detaillierter Austausch über gemeinsame Bekannte, ob es sie noch gibt und wo sie denn gelandet sind. Mit der Seekarte im Handy gut gerüstet verlassen wir die Schlei und fahren mit dem sich nun der Vorhersage angepassten West-Süd-West-Wind die Küste von Angeln entlang nach Norden.

Der Unterschied zwischen dem heutigen Wind und dem von gestern ist, dass er nicht mehr so wirklich von hinten schiebt, sondern deutlicher von der Seite drückt. Das Gemeinsame mit dem Wind von gestern ist die Tatsache, dass er uns immer noch Richtung Ärö treibt. Da wir durch das ausgefallene Essen in der Giftbude nun eine Portion Proviant zu wenig haben, müssen wir unterwegs noch einmal nachfassen. Wir schätzen, dass es  auf dem Campingplatz Hasselberg mindestens einen Kiosk gibt, an dem man seine Vorräte auffüllen kann. Wir sind unbemerkt ein deutliches Stück Richtung Ärö versetzt worden, so dass wir uns schließlich mühsam gegen den Wind zurückarbeiten müssen, um den Campingplatz noch zu erreichen.

Wir gönnen uns eine kleine Pause am Kiosk, aber mit meiner kurzen Hose kommt bei den wenig sommerlichen Temperaturen und dem frischen Wind nur ein geringes Maß an Gemütlichkeit auf. So sitzen wir bald wieder in den Booten und passen ab jetzt besser auf, dass wir Ärö nicht zu nahe kommen. Bei Falshöft macht der Küstenverlauf einen deutlichen Knick nach Westen, so dass wir ab hier praktisch gegen den Wind fahren. Das führt natürlich dazu, dass es spritzt und man ständig vom acht Grad frischen Wasser nass wird. Das führt auch dazu, dass uns der Gestank der Kormorankolonie, deren Einwohner auf dem trockengefallenen Flach vor der Geltinger Birk ihren ätzenden Kot verteilen, schon auf weite Entfernung in die Nase sticht. Zusammen mit den in der Flensburger Förde recht hoch gehenden Wellen führt es auch dazu, dass der See auf meiner Spritzdecke immer gut gefüllt ist und beständig ins Innere sickert. Im Laufe der Jahre ist meine Neoprenspritzdecke wohl doch so porös geworden, dass man sie nicht mehr als wirklichen Verschluss des Cockpits bezeichnen kann.

Im Inneren meines Bootes steht daher ständig so viel Wasser, dass meine nackten Beine satt umspült werden. Zweimal pumpe ich es während der Fahrt über die Förde ab, damit die Beine wenigstens eine kurze Zeit mal Gelegenheit haben, sich etwas aufzuwärmen. Ich bin froh, dass ich dafür mit meiner Schenkelpumpe das Paddeln nicht unterbrechen muss. Aber mit den ständig übergehenden Wellen dauert es nicht lange, bis wieder genügend Wasser nachgefüllt ist, das meine Beine darin schwimmen. Sie versuchen zwar, es von ihren acht Grad auf angenehmere Temperaturen aufzuheizen, haben aber nicht so viel Erfolg, dass ich sagen würde, es sei angenehm. Ich habe meine Schimrmütze auf, die wenigstens etwas Schutz gegen Wind, Wasser und Kälte bietet, aber mein Südwester wäre wesentlich besser geeignet. Ich habe ihn zwar griffbereit im Cockpit, mache mir aber bei dem strammen Wind doch nicht die Mühe, ihn rauszukramen. Auch Peter fühlt sich nicht wirklich mollig, obwohl er im Gegensatz zu mir im Long-John fährt. So sind wir vermutlich rechtschaffen unterkühlt, als wir endlich unter dem Steilufer von Broager ankommen.

Dort liegen bereits etliche Boote am Strand. Als wir unsere daneben legen, fällt Peters Blick in das Cockpit eines fremden Bootes, wo der Name des Besitzers in großen Buchstaben zu lesen ist. "Den kenn ich!", sagt er. "Von Norderney?" "Nein, aus Hannover!" Als ich den Steilhang hochgehe und auf die oben bereits campierende Gruppe treffe, fallen mir auch sofort zwei bekannte Gesichter auf. Mit der einen Paddlerin bin ich während der Seekajak-Woche paddeln gewesen, der andere hat ein RST in Kiel besucht, das ich veranstaltet habe. Die Gemeinde der Seekajak-Fahrer ist eben überschaubar.

Wir sind gestern über dreißig Kilometer gepaddelt und heute wieder. Wir sind heute die letzen fünfzehn Kilometer gegen einen satten fünfer Wind angekeult. Und es ist erst das zweite Mal in diesem Jahr, dass Peter im Boot sitzt! Ich weiß nicht, wie er das macht, aber einmal ins Boot gesetzt, schnurrt er ab wie ein aufgezogenes Kinderspielzeug. Ich wäre zusammengebrochen! Immerhin ist er so erledigt, dass er sofort einschläft, als er sich probehalber in seinen Zelt in die Waagerechte legt!

Donnerstag, 9. Mai 2013

Kiel - Flensburg Teil 1: von Bülk nach Schleimünde

Gestern beim Mittwochspaddeln war es mir im Long-John viel zu warm. Die schwierige Entscheidung: Was ziehe ich an? fällt damit zu Gunsten der kurzen Neo-Hose aus. Ich werde es noch bitter bereuen!

Weder Peter noch ich konnten einen fahrbaren Untersatz für dieses Wochenende organisiseren. Damit sind unsere hochtrabenden Träume von Unterelbe und Ostfriesland zerplatzt. Immerhin habe ich eine hilfsbereite Tochter zu bieten, die sich bereit erklärt, uns und unser reichhaltiges Gepäck etwas näher an das geliebte Meer zu kutschieren. So können wir also von Bülk aus starten und müssen uns nicht im Boot durch die ganze Kieler Förde quälen.


Wir stimmen uns kurz über den Kurs ab. Es gibt im wesentlichen nur zwei Optionen: Die Küste entlanghangeln und die Eckernförder Bucht an ihrem Ausgang queren - oder den direkten Weg Richtung Schleimünde. Ich hätte eher für die Hasenlösung plädiert - schließlich ist das unsere erste ernsthafte Tour - aber Peter sagt nur knapp: "Direkt rüber!"

Ich bin ausgesprochen froh über diese Entscheidung, denn es macht einfach mehr Spaß hier draußen und es fühlt sich deutlich mehr nach "Seekajak" an, als am Strand entlang zu rutschen. Der Wind weht schwach und schiebt uns sanft Richtung Ärö. Heute wären die idealen Bedingungen, diese dänische Insel anzusteuern, aber die kleine Richtungskorrektur, damit wir in Schleimünde landen, kostet nicht viel Mühe.

Es sind Unmengen von Seglern unterwegs, die natürlich auch alle den direkten Kurs nehmen und wir so mit ihnen im selben schmalen Korridor fahren. Man sieht einigen deutlich an, dass sie skeptisch auf die zwei Kajaks blicken, die nach ihrer Auffassung so weit draußen eigentlich nicht vorkommen sollten. Aber alle grüßen freundlich - wenn sie uns denn überhaupt sehen!

Normalerweise liegt das Schießgebiet vor dem nördlichen Schwansen so weit draußen, dass man nie Gefahr läuft, mit ihm in Konflikt zu geraten. Heute müssen wir tatsächlich unseren Kurs leicht korrigieren, um nicht in den gesperrten Bereich zu gelangen. Manche Segelyacht sagt sich aber auch "An Himmelfahrt wird nicht geschossen!" und fährt ungerührt mitten durch.

Der Wind weht die gesamte Zeit über beständig aus der gleichen Richtung in der selben Stärke. Man erkennt auf unserer GPS-Spur deutlich, dass wir in den Zeiten unserer Pausen direkt und mit anderthalb Stundenkilometern Richtung Ärö verdriftet werden. Wir hätten nach Ärö fahren sollen!

Wir machen einen kleinen Abstecher nach Olpenitz, um den Baufortschritt zu begutachten. Es sind hier und da ein paar fertiggestellte Häuser zu sehen und einen Strand hat man in dem Areal auch schon angelegt. Aber irgendwie hat das Ensemble doch noch etwas von Geisterstadt. Während wir so im Hafenbereich rumdümpeln, höre ich ein Segelschiff von hinten dicht an uns heranrauschen. Erst denke ich, dass sich da vielleicht jemand verfahren hat und nach dem Weg fragen will, aber dann erkenne ich, dass es sich um die "Mollimauk" handelt. Karen ist heute morgen mit Klaus-Peter und ihrer Schwester auch in Kiel losgefahren und hat uns hier eingeholt.

Wir laufen in die Schlei ein und sind erstaunt, dass sich die Boote im Hafen dort nicht dicht gepackt drängeln. Es sind noch reichlich Liegeplätze frei - und wir sind die ersten, die dort Zelte aufbauen. Es soll uns recht sein, denn so haben wir die Garantie auf einen ruhigen Abend. Was uns allerdings nicht so recht ist, ist die Tatsache, dass die Giftbude geschlossen ist. Der Hafenmeister weiß auch nicht warum - oder wann die wieder auf macht. Ich hatte Peter zu einem Essen hier eingeladen, aber das müssen wir nun ein andermal nachholen.

Außer uns laufen gegen Abend noch zwei paddelnde Paare aus Oldenburg bei Bremen auf der Halbinsel ein. Sie sind die Schlei hoch gepaddelt, wollen morgen ein wenig auf die Ostsee und dann wieder zurück.

Wir machen es uns gemütlich, sehen den vielen in die Schlei einlaufenden Seglern nach, machen einen Spaziergang so weit es dieses begrenzte Areal zulässt und bruzzeln einen Ersatz für das ausgefallene Abendessen auf unseren Trangias.