Sonntag, 10. November 2013

Lyö im Winter - ohne Hubschrauber zurück! (3/3)

Die ganze Nacht hindurch gießt es wie aus Kübeln. Im Wetterbericht von Freitag war hier und da mal ein Millimeter Regen vorgesehen - aber keinesfalls derartige Mengen. Nun, zumindest hält mein Zelt dicht. Allerdings nur soweit ich das beurteilen kann, nachdem ich drei Tage lang mehr oder minder nass ein- und ausgegangen bin, was natürlich auch seine Spuren hinterlassen hat. Aber ich will nicht klagen. Außerdem hat sich der Wind gelegt. Wenn man einen Tag mit durchgehend sieben Windstärken hinter sich hat, klingt ein solider Vierer wie ein laues Lüftchen.

Der Schuppen ist heute Morgen Gold wert. Neben dem Schutz, den er uns gewährt, so dass wir das Frühstück ungestört von den alle fünf Minuten niedergehenden Schauern einnehmen können, hat er auch unserer Wäsche die Nacht über Obdach geboten. Sie ist so gut getrocknet, wie salzwassergetränke Wäsche in kalter und feuchter Luft eben trocknet. Wir könnten schlimmer dran sein. Schließlich sind auch die Temperaturen zwar nicht zweistellig, so doch zumindest nicht frostig. Der Schuppen hat an diesem Wochenende eine Menge Geschichten zu hören bekommen. Wir sind vielleicht nicht besonders viele Kilometer gepaddelt, aber wir haben weidlich Zeit gehabt, über dies und jenes und Gott und die Welt und persönliche Sorgen, Nöte und Wünsche, Träume und Pläne zu quatschen. Auch dies ganz klar Zweck und Ziel einer Paddeltour.

Der Himmel klart immer weiter auf, während wir Müsli und Brote verdrücken. Schließlich ist der Himmel vollkommen wolkenlos, so dass unsere Zelte sogar fast trocken sind, als wir sie einpacken. Unser Auftrag für heute ist wenig spektakulär: in gerader Linie auf den Hafen von Fynshav zu. Der Wind weht wieder westlich mit leicht nördlichem Einschlag. Das Gute an dem strammen Wind von gestern ist, dass man das Lüftchen heute nicht mehr recht ernst nimmt. Unter normalen Umständen wäre das hier ein Vierer-Gegenwind, der das Fortkommen schon spürbar erschwert. Heute kommt er als ein um drei Windstärken schwächeres Lüftchen daher, gegen das man ohne große Mühe gegenan paddeln kann. Die Wellen sind gemütlich und nur wenige erreichen die ein Meter-Marke. Wir fahren eine schnurgerade Linie ohne große Schnörkel oder Pausen. In deutlich weniger als zwei Stunden sind die elf Kilometer zurückgelegt und gehen bei strahlendem Sonnenschein auf Alsen an Land.

Zum Glück hat Trenk so lange genervt, bis ich mich breitschlagen ließ, diese Tour mit ihm zu machen. Es wäre sonst eine Gelegenheit ungenutzt verstrichen, wertvolle und einmalige Erfahrungen zu machen. Diesmal waren für mich auch Erfahrungen dabei, dass ich manche Erfahrungen doch lieber nicht machen möchte. Vielleicht sind solche Erfahrungen am Ende die wertvollsten.



Samstag, 9. November 2013

Lyö im Winter - oder wie ein Südwester sagt, wo's lang geht (2/3)

Der Nachmittag fängt heute schon vor Sonnenaufgang an. Zumindest ist die Windstärke bereits vor dem Aufstehen hörbar so, wie sie erst für den frühen Nachmittag vorgesehen war. Aber so ist das mit schnell laufenden kurzen Störungen: es ist schwer vorherzusagen, wann sie denn genau eintreffen. Ich bin nicht überrascht und eigentlich ist es mir viel lieber, wenn es jetzt schon ordentlich weht und bald nachlässt, als wenn es uns trifft, während wir unterwegs oder noch übler, während wir auf dem Rückweg sind.

Gestern Abend war es lau und trocken, so dass wir vor den Zelten gekocht und gegessen haben. Heute Morgen ist es eher schauerlich, und dass jeder in seinem eigenen Zelt hockt, ist doof. Aber da ist ja die Bretterbude auf der Nachbarwiese, die bis über alle Ohren vollgestopft ist mit Holzbänken. Da geht doch was. Im Nu bringen wir etwas Ordnung in das Chaos und schon haben wir eine Bank vor der Hütte stehen, die uns als Tisch dient und eine wind- und regengeschützt im Inneren, auf der wir sitzen. So kommt trotz der immer wieder niedergehenden Schauer so etwas wie Behaglichkeit auf. Wir haben ja keine großen Pläne heute - nur eben in die Helnäs-Bucht, um einen neuen Übernachtungsplatz zu erkunden. Wenn der Wind etwas abgeflaut ist. Und wie nicht anders erwartet, rauscht es schon etwas vermindert, als ich mir gemütlich die dritte Tasse Tee genehmige. Mit dem Wissen, dass je länger wir frühstücken, desto kürzer müssen wir gegen den immer schwächer werdenden Wind anpaddeln, widmen wir uns gewissenhaft dem inneren Kern unserer Unternehmung - der Entspannung!

Schließlich sind wir so entspannt, dass es uns in den Schwielen juckt und wir endlich lospaddeln wollen. Allein das vermutete Abflauen vorhin war allenfalls ein kurzes Intermezzo - keinesfalls ein Anfang vom Ende des starken Blasens. Beim Blick aufs Wasser bin ich mir nicht sicher, ob das Windstärke sechs ist. Die Frage ist aber nicht, ob es vielleicht nur eine fünf ist, sondern ob es sich nicht doch eher um eine sieben handelt. Aber die Vorhersage hatte nur maximal 13 Meter pro Sekunde betragen, also wird das schon sechs sein. Sein Boot an diesem steinigen Strand ins Schwimmen zu bekommen, ist nicht ganz einfach. Vor allem darf man nicht penibel sein, was Schrammen am Rumpf angeht. Aber wir gehen heute mit leeren Boote auf Tour, so dass es praktisch ohne Risiko ist, über die Steine zu wubbeln.

Der Wind drückt mächtig gegen die Flanke. Er weht genau aus West und unser Ziel liegt im Norden. Da die Boote leicht sind, ragen sie zudem hoch aus dem Wasser und bieten so eine gute Angriffsmöglichkeit. Es kostet einige Mühe, die Richtung so zu gestalten, wie man sie selber gerne hätte, nicht wie der Wind sie einem diktiert. Mir ist gleich beim Start durch die Brandung der Südwester verweht worden und ich habe ihn erst nur notdürftig mit einer Hand zurechtgerückt. Leider kann ich so nicht mehr sehen, wohin ich fahre oder was für Wellen gerade aus was für einer Richtung kommen. Bevor ich ihn aber wieder korrekt richten kann, muss ich erst einmal soweit von der brechenden Brandung freikommen, dass ich nicht auf die großen Steine gespült werde. Als es soweit ist, muss ich das Paddel aus der Hand legen, weil ich beide Hände brauche, um den Stopper am Kinnriemen wieder in Position zu bringen. Das dauert eigentlich nicht lange, aber doch lange genug, dass der Wind meinen Bug wieder in Richtung Verderben dreht und ich lange heftig rudern muss, um wieder auf einen gedeihlicheren Kurs zu kommen. Außerdem möchte man sein Paddel unter solchen Bedingungen nicht wirklich gerne komplett aus der Hand legen.

Leider war das Verrutschen meines Hutes doch kein singuläres Ereignis der Startphase. Der Tanka-Verschluss, der den Kinnriemen in Position halten soll, ist für diese Windstärken leider nicht (mehr) kräftig genug! Es dauert nicht lange, da flattert mir der Hut schon wieder lose am Kopf. Es ist ausgeschlossen, dass ich auf die Kopfbedeckung pfeife und ohne fahre, dafür ist es dann doch eindeutig zu kalt. Ihn nur kurz mit einer Hand dicht auf den Kopf zu ziehen, führt wieder nur dazu, dass ich außer meiner Spritzdecke nichts mehr von der Welt sehe. Die beidhändige Gegenmaßnahme krankt an der eben beschriebenen Malaise, dass ich drohe, zwischen den Steinen zu zerschellen. Es dauert nicht lange, bis mir klar ist, dass ich unter solchen Umständen die Überfahrt nach Fünen nicht machen werde, auch wenn sie nur zwei Kilometer weit ist. Ob ich sie mit einwandfrei fest sitzendem Hut machen würde, weiß ich nicht, aber das muss ich mir im Moment auch nicht überlegen. Ich teile Trenk meinen Entschluss mit. Er ist zwar nicht begeistert, aber ihm ist klar, dass das hier nicht mit Überreden zu regeln ist.

Es bleibt uns die Umrundung von Lyö. Möglicherweise sind wir die ersten, die das probieren. Jedenfalls ist mir aus der Literatur nichts derartiges bekannt. Nachdem wir den Wind achterlich haben, sind die Haftprobleme meines Südwesters wie weggeblasen und wir rauschen um die Nordspitze der Insel. Dahinter ist ruhiges Wasser, aber der Wind wird nur sehr unvollständig durch die flache Landschaft abgeschirmt. Als wir  an der Ostspitze aus dem Schutz der Insel heraustreten, erfasst er uns mit voller Wucht genau von vorne. Es ist mittlerweile deutlich Nachmittag und die "kleine Störung" zeigt immer noch keine Neigung, sich abzuschwächen. Unsere Geschwindigkeit geht immer mehr den Bach hinunter und ich frage mich ab und zu, ob wir überhaupt noch Land gewinnen gegen den brüllenden Wind. Zu allem Überfluss gehen alle naselang Regenschauer nieder. Solche, bei denen man denkt, die Tropfen sind eckig, so hart fühlen sie sich im Gesicht an. Und hatte ich schon gesagt, dass mein Hut das gar nicht witzig findet? Irgendwann in einer besonders harten Bö fliegt er mir vollends vom Kopf und als ich versuche, ihn wieder einzufangen, ist mein Boot fast komplett herumgeweht und ich weiß nicht, ob ich es noch vor dem Aufschlagen am Strand eingefangen bekomme und ob es überhaupt Sinn macht, jetzt mit aller Gewalt gegen den Wind anzukeulen, der ja eh gleich nachlassen wird... kurzum, ich suche mir entnervt eine Stelle zum Anlanden.

Natürlich gibt es keine, denn das Ufer ist vollkommen sandfrei und überall liegen koffergroße Steine herum. Aber wenn man genau hinsieht, gibt es da immer wieder dichte Algenfelder zwischen den Steinen, die Wellen und Steine abfedern und ein erstaunlich geräuscharmes Anlanden ermöglichen. Nach einer kurzen Weile hat Trenk gemerkt, dass ihm niemand mehr folgt und er kommt zurück, um auch anzulanden. Sein Versuch, in der Nähe meines Bootes an Land zu kommen, wird derart vom Winde verweht, dass er erst etwa hundert Meter weiter in Lee zum Stehen kommt. Wir sitzen etwas unentschlossen im Wind und genießen das Naturschauspiel einer komplett weiß aufgewühlten Südsee. Eine Befragung unserer GPS-Geräte verrät, dass es noch zwei Kilometer Luftlinie bis zu unserem Zeltplatz sind. Lächerliche zwei Kilometer!

Es dauert über eine Stunde, eine Banane und ein Snikkers, bis ich einerseits soweit wieder erholt bin, dass ich mir die lächerlichen zwei Kilometer zutraue, und andererseits so hoffnungslos, dass ich nicht mehr glaube, dass diese "kurze" Störung noch mal ein Ende findet. Mittlerweile bin ich übrigens auch überzeugt, dass es sich hier tatsächlich um Windstärke sieben handelt. Bei so etwas paddelt man nicht mehr - und ich bin meinem Südwester dankbar, dass er mir die Entscheidung abgenommen hat, die Überfahrt nach Fünen zu machen. Nachdem wir dem Wind und dem Regen (wieso kann es überhaupt so heftig regnen, wenn weit und breit keine Wolke zu sehen ist?!) die letzten zwei Kilometer abgerungen haben, müssen wir unsere Boote die letzten hundert Meter noch über Land tragen. Da war eine Art Bucht mit einem kaum sichtbaren Kehrwasser, das ein vollkommen schrammenloses Anlanden ermöglicht hat. Direkt vor unserem Zeltplatz hätte sich wieder die eine oder andere Marke in den Bootsrümpfen verewigt. Es weht dermaßen stramm, dass man schon beim normalen Gehen auf festem Grund immer wieder aus dem Gleichgewicht geweht wird. Während wir triefnass unsere Boote über Land zu unserer Zeltwiese zurücktragen, begegnet uns ein Jäger, der seine Schrotflinte spazierenträgt. Er muss uns für komplett meschugge halten, sich erst bei einem derartigen Wind mit Booten aufs Wasser zu wagen und sie dann über Land zurückzutragen. Er sagt aber kein Wort.

Das Banklager leistet uns willkommene Dienste als Umkleide und Teestube. Die Sache mit den Schauern hat sich nämlich immer noch nicht erledigt. Nach einem heißen Tee und etwas Honigkuchen fühlen wir uns bereit für einen ausgiebigen Spaziergang über die Insel. Bei meiner Erkundung vor vier Wochen waren mir schon die zahlreichen Häuser aufgefallen, die bereits sichtbar dem Verfall anheimgefallen waren bzw. an denen "Til Salg" sein Schild angebracht hatte. Heute, da wir im Dunkeln durch die Straßen schlendern, fallen noch viel mehr Häuser auf, dadurch, dass nirgends ein Licht in ihnen glimmt. Erst als wir in die Nähe der Kirche kommen, werden der Ort etwas lebendiger und die Häuser heller. Der Krug am großen Feuerlöschteich ist zwar mittlerweile geschlossen, aber es gibt hier noch einen zweiten Krämer, der nun offensichtlich das Zentrum des Ortes markiert. Immerhin, solange es noch einen Kaufmannsladen gibt, gibt es auch noch Hoffnung. Übrigens gibt es auf Lyö Unmengen von Feuerlöschteichen. Entweder haben die Einwohner hier schlimme Erfahrungen mit Bränden gemacht, oder die Landschaft hat ihnen diese Teiche freiwillig präsentiert.

Als ich nach einem viel zu reichlichen Abendessen lange nicht einschlafen kann, frischt der Wind noch einmal richtig auf. Ich komme extra noch einmal aus meinem Zelt, um mir das Wasser aus der Nähe anzusehen, aber es ist bereits zu dunkel, um noch etwas deutlich erkennen zu können. Aber auch so weiß ich, dass wir morgen eher einen Hubschrauber benötigen würden, um von der Insel zu kommen, als dass wir es bei diesen Bedingungen auf eigenem Kiel riskieren würden.

Den ganzen Tag lang sieben Beaufort!


Freitag, 8. November 2013

Lyö im Winter - Überfahrt im Dunkeln (1/3)

Optimale Vorhersage! Nur ne kleine Störung am Samstag.
Trenk hat solange genervt, bis ich zugesagt hatte, mit ihm eine Nachttour im November über den Belt zu machen. Die ganze Woche über habe ich gebannt die Windvorhersage verfolgt. Am Sonntag voher sah es gar nicht gut aus - da war für den Freitag der Überfahrt konstant neun Meter pro Sekunde angesagt. An diesem Tag war ich mit Jörg bei genau der Windstärke auf der Förde unterwegs - im Hellen! Bei so etwas fahre ich nicht im Dunkeln über den Belt! Dann sah es wieder gut aus - mit moderaten Winden - und dann wieder ganz mies. Erst die letzte - und damit verlässlichste Wettervorhersage von Freitag um 12:00 Uhr brachte die Entscheidung: Wir gehen auf Fahrt!

Bei der Vorbereitung im Hafen von Fynshav wollen einige Passanten es nicht recht glauben, dass wir jetzt noch los wollen, denn es wird ja bereits dunkel. Aber wir können auf unsere gesammelten Beleuchtungsmittel verweisen und sie einigermaßen beruhigen. Es ist das erste Mal, dass ich mein Toplicht auf meinen Südwester montiere und eigentlich auch das erste Mal, dass ich eine echte Nachtfahrt so vollkommen ab vom Ufer mache. Ich bin wirklich gespannt und freue mich darauf. Mein GPS-Gerät habe ich griffbereit in der Schwimmweste, der Zielort ist einprogrammiert und auf der Nase habe ich meine Brille, damit ich überhaupt eine Chance habe, es während der Fahrt ablesen zu können. Der Übernachtungsplatz auf Lyö ist einprogrammiert, die Peilung vorher bestimmt, denn im Dunkeln sind die Navigationmöglichkeiten noch weiter eingeschränkt als bei einer Nebelfahrt. Eigentlich dürfte Nebel im Dunkeln überhaupt gar kein Problem sein, weil man ja eh schon wegen der Dunkelheit nichts sieht. Unsere Kompasse haben wir mit Knicklichtern beleuchtet. Meines fungiert gleichzeitig als Positionslicht für mein Boot, Trenk hat noch ein Extra-Licht montiert, weil er das über dem Kompass fast vollständig mit undurchsichtigem Klebeband umwickelt hat, damit es auch wirklich nur den Kompass beleuchtet.

Die Frage mit der Schleppleine ist diesmal einfach zu klären. Da eh nur maximal einer schleppen könnte, lasse ich meine im Auto und wir beschränken uns auf Trenks Schleppgeschirr.

Es herrscht Südwind - drei bis vier. Das ist lieblich, führt aber natürlich trotzdem zu etwas Abdrift. Also legen wir unseren zu steuernden Kurs auf "irgendwie mittig zwischen 60 und 90 Grad". Diese beiden Werte sind auf dem Kompass wenigstens einigermaßen gut zu erkennen. Ich kann zwar nicht sehen, welche der dickeren Markierungen die 60 und welche die 90 Grad-Marke ist, aber ich kann die 0 von der 60 unterscheiden und die 120 von der 90 - also kann eigentlich nichts schief gehen. Man sieht kaum Navigationslichter in dieser Gegend - bis auf den legendären Leuchtturm Skjoldnäs an der Nordspitze von Ärö. Außerdem ist da noch ein festes Licht irgendwo auf der Südspitze von Fünen. Es bildet mit dem Leuchtturm etwa einen Winkel von 120 Grad, so dass wir auch die Möglichkeit haben, uns etwa mittig in diesem Dreieck zu halten. Es ist einfach sehr viel leichter, sich Fixpunkte in weiter Ferne zu suchen und sich an denen zu orientieren, als fortwährend auf den Kompass blicken zu müssen, der eh nur mit Schwierigkeiten abzulesen ist. Die Wellen laufen ziemlich genau quer zu unserer Fahrtrichtung, sind aber eigentlich kein wirkliches Problem. Allerdings sollte man vegetativ schon einigermaßen gefestigt sein, denn man sieht sie nicht heranrollen und mit zunehmender Entfernung vom Land werden sie natürlich auch größer. Doch sie bleiben im Wesentlichen unter einem Meter Höhe und nur selten klatscht uns brechender Schaum vor die Brust.

Nach einiger Zeit bemerkt Trenk, dass das Wasser leuchtet, nachdem man es mit dem Paddel umgerührt hat. Später leuchtet auch die schäumende Gischt, die am Boot entsteht, wenn sein Bug die Wellen teilt. Es ist eine ganz zauberhafte Stimmung - dunkel aber lau, still aber rauschend, entrückt und doch wirklich. Hier ist niemand - nur wir und die Wellen. Vergessen, gemieden, ja gefürchtet. Alles gehört uns - die Zeit, der Raum, die Nacht und das Meer. Wir sind so weit fort - und doch direkt vor unserer Haustür!

Fast genau in unserer Vorausrichtung taucht ein fleißig blinkendes Licht auf. Das eignet sich prima zum Anvisieren. Noch besser ist aber der Fixstern, der nun genau darüber steht. Wir wählen ihn als bequemen Anhaltspunkt. Leider zeigt sich bald, dass das fleißig blinkende Lichtlein und der Fixstern auseinander driften. Wir lassen das fleißige Lichtlein Lichtlein sein und vertrauen der fixen Idee, dass Fixsterne fix stehen bleiben. Als unser Stern aber anfängt, Geräusche zu machen und außer seinem weißen nun auch noch ein rotes, blinkendes Licht zeigt, wenden wir uns doch reumütig wieder unserem fleißigen Lichtlein zu.

Alles, was auf Lyö Licht zeigen und uns den Weg weisen könnte, liegt hinter dem Hügel und ist aus unserer Position nicht sichtbar. Wir haben nicht wirklich Bedenken, dass wir unser Ziel verpassen könnten, denn es herrscht Halbmond und die Wolkendecke ist nicht komplett geschlossen. Zwar haben wir unsere GPS-Geräte eingeschaltet dabei, aber wir wollen sie für die Überfahrt nicht benutzen. Erst auf den letzten paar hundert Metern, wenn es darum geht, den genauen Platz zum Anlanden zu finden, werden wir sie zu Hilfe nehmen. Die Insel sehen wir erst, als wir nur noch gute anderthalb Kilometer von ihr entfernt sind. Wobei "sehen" die Sache nicht wirklich trifft, wir haben eher eine dunkle Ahnung, dass das tiefschwarze da Land sein muss. Wir haben reichlich vorgehalten und können nun einen kleinen Moment die Früchte genießen und etwas auf den wohlwollend schiebenden Wellen surfen.

Auf den letzten paar Metern stelle ich uns noch selber ein Bein. Ich betreibe mein GPS-Gerät immer so, dass der Vorauspfeil nicht auf das Ziel zeigt, sondern in die Richtung, in die ich fahren muss, um mein Ziel zu erreichen. Diese beiden Richtungen sind nur dann identisch, wenn es keine Winddrift und keinen Strom gibt. Ansonsten ist die Richtung, in die man fahren muss, eigentlich der interessantere Wert. Aber wenn man davon gut haben will, muss man Fahrt machen und am besten auch nennenswert weit vom Ziel entfernt sein. Wenn man in unmittelbarer Nähe zum Ziel willenlos auf dem Wasser umhertreibt, zeigt mein Pfeil schon mal in eine komplett widersinnige Richtung. Vollkommen logisch - wenn man drüber nachdenkt! Aber soweit lasse ich es nicht kommen, sondern locke Trenk 150 Meter vor dem Ziel um 150 Meter in die falsche Richtung. Erst als wir dort kurz an Land gehen und ich meine Käsestulle vertilge (ich hatte seit dem Mittag nichts mehr gegessen), kehren Verstand und Einsicht zurück. So haben wir uns immerhin nochmal 150 Meter Gelegenheit zum Surfen erarbeitet. Trotz Trenks beeindruckendem Scheinwerfer und meinem in alle Richtungen blendenden Topplicht können wir beim besten Willen den kleinen, aus grünen Plastikkisten handgemachten Hafen nicht entdecken. Trotzdem gehen wir punktgenau am geplanten Ort an Land.

Wir sind ganz beseelt von dem beeindruckenden Erlebnis und auch ein bisschen stolz, alles so selbstverständlich gemeistert zu haben. Beschwingt bereiten wir unsere Heimstatt, sowie das Abendmahl.  Trenk verteilt seines allerdings in einem breiten Streifen in meinem Zelteingang, weil ihm der volle Topf mit den Nudeln in einem unbedachten Moment aus der Hand springt. Irgendwo in den Tiefen meiner Essensvorräte klingelt mein Handy. Ja, wir sind gut angekommen, nein, es herrschte nicht viel Wind und morgen soll auch wenig Wind sein - bis auf eine kleine Störung am Nachmittag.

Sonntag, 6. Oktober 2013

Südsee bei Gegenwind: Nachbetrachtungen (4/4)

Natürlich war es ein Wagnis, einen recht unerfahrenen Paddler auf eine absehbar anspruchsvolle Unternehmung mitzunehmen. Aber wie soll man Erfahrungen sammeln, wenn man keine macht? Unterm Strich gesehen war die Unternehmung für alle Beteiligten ein Erfolg: Sie hat Spaß gemacht und wir haben alle dazugelernt.

Es gibt einiges, was ich gelernt habe: In dem Moment, in dem ich im Hafen von Mommark meine Ausrüstung umgepackt habe, weil ich den Trim meines Bootes besser gestalten wollte, hätte ich Olav darauf aufmerksam machen müssen, dass ein schlechter Trim einem den letzten Nerv rauben kann, und dass ein schlechter Trim bei genau diesen Bedingungen gnadenlos enttarnt wird.

Meine Nachfrage bei Trenk, ob er seine Schleppleine am Mann trägt, war von vorn herein feige. Natürlich habe ich in dem Moment nicht im Traum daran gedacht, dass wir eine Leine benötigen würden. Aber meine Erfahrung besagt, dass Unvorhergesehenes generell unvorhergesehen passiert und daher habe ich mir eben mit der Frage ein Alibi besorgen wollen. Professionell ist das nicht. Das nächste Mal binde ich mir die Leine wieder gleich um.

Jemanden in solchen Bedingungen fast zweieinhalb Stunden lang zu schleppen, schaffen nicht viele Paddler. Trenk kann so etwas, aber es wäre klüger gewesen, wenn wir uns abgewechselt hätten. Zwar hat Trenk nicht im Mindesten geschwächelt oder auch nur eine Andeutung gemacht, dass er abgelöst werden möchte. Aber ich hätte eine Ablösung anbieten sollen, dann hätte ihm am Folgetag vielleicht das Handgelenk auch nicht geschmerzt.

Der Zeitpunkt für die Entscheidung war goldrichtig und die Entscheidung selbst auch. Bis zu dem Moment, in dem es Olav nachhaltig aus der Richtung geworfen und er so erkennbar Mühe hatte, sie wieder zu finden, lief alles vollkommen problemlos - bis auf die Kleinigkeit, dass wir nicht ganz den optimalen Kurs fuhren. Auch danach war Olav noch absolut Herr der Lage. Aber er musste sich sehr anstrengen, auf Kurs zu bleiben, und es wäre mit zunehmender Erschöpfung nicht besser geworden. Er hätte durchaus bis Ärö durchhalten können. Aber die Chancen waren unter fifty-fifty. Es hätte noch sehr lange gedauert, bis er nicht mehr gekonnt hätte und wir ihn hätten schleppen müssen. Aber jemanden zu schleppen, der nicht mehr kann, ist nicht klug, und wenn es dazu kommt, ist voher etwas schief gelaufen. Es war also genau der Zeitpunkt zu handeln. So konnte Olav den größten Teil des Vortriebes noch selbst leisten und Trenk musste nur seinem Bug die Richtung vorgeben. Wenn er nicht mehr gekonnt hätte, wäre er zwangsläufig irgendwann über Bord gegangen, hätte große Mühe gehabt, wieder einzusteigen, ich hätte ihn dann stützen und Trenk zwei Paddler gegen den starken Wind schleppen müssen. Das wäre vielleicht sogar für Trenk zu viel des Guten gewesen.

Auch wenn Olav im wesentlichen selbst gepaddelt ist, die Belastung, die eine fast die gesamte Zeit durchs Wasser gezogene Schleppleine zusammen mit den ruckartigen Straffungen auf den ziehenden Paddler ausübt, ist erheblich. Es ist eine gute Übung, so etwas einmal in anspruchsvollen Bedingungen über Zeitraum, der länger als fünf Minuten ist, zu praktizieren. Dass Trenk es fast zweieinhalb Stunden ohne Murren durchgehalten hat, hat meinen hohen Respekt.

Bis zur Entscheidung hatten wir etwa ein Drittel der Strecke geschafft. Es bestand auch die Option, statt weiter zu fahren, umzukehren. Abgesehen davon, dass wir nach Ärö wollten, wäre ein Umkehren weitaus riskanter gewesen. Zwei Meter hohen, brechenden Wellen ins Auge zu blicken und ihnen stand zu halten, ist eine Sache. Denselben Wellen den Rücken zu kehren, nicht zu wissen, wann sie angreifen und sich ihnen in dieser Weise auszuliefern, ist eine ganz andere Sache. Wenn man das eine sicher handhaben kann, heißt das noch lange nicht, dass man auch dem anderen gewachsen ist. Ich wäre mir nicht einmal für mich selbst sicher gewesen, ob es mich nicht irgendwann reingerissen hätte. Aber ich hätte mir zugetraut, wieder hoch zu rollen. Olavs Rolle ist noch nicht so gefestigt, dass man unter diesen Umständen auf sie wetten sollte. Und schleppen in Wind- und Wellenrichtung... das wäre eine noch interessantere Aufgabe, die man vielleicht besser in wärmerem Wasser üben sollte.

Als wir Olav auf Ärö zurückgelassen haben, stand nicht fest, wo wir uns wieder treffen würden. Bei ungünstigen Bedingungen wären wir wieder an den Ausgangspunkt zurückgekommen. Aber wir haben es bereits zum Zeitpunkt der Trennung zumindest in Erwägung gezogen, uns auf Lyö zu treffen. Trenk hatte sein Funkgerät dabei, ich hatte Nico-Signalgerät, drei Seenotraketen und eine Rauchkerze dabei. Olav hatte keine Hilfsmittel in dieser Richtung mit. Wir hätten ihm entweder das Nico-Gerät geben müssen oder besser noch die Signalraketen, denn er hatte eine Solo-Fahrt vor sich. Auch hier reicht es nicht, sich selbst sicher zu fühlen. Wenn ich es für mich für angebracht halte, Signalmittel mitzuführen, ist es natürlich auch für Olav angebracht. Wenn man sich dann entscheiden soll, wer die Signalmittel nimmt, dann werden sie ohne jeden Zweifel bei einer Alleinfahrt dringender benötigt, als wenn man mit einem Partner unterwegs ist. Wir müssen in ähnlich gelagerten Situationen in Zukunft länger darüber reden, was wir machen und wie wir eventuell vorhandene Ausrüstung aufteilen.

Südsee bei Gegenwind: Sonntag (3/4)

Die Nacht war schwarz und sternenklar. Das Gras, die Boote und die Zelte sind klatschnass. Es ist schwer einzuschätzen, ob unsere Wäsche auf der Leine heute Morgen trockener oder nasser ist, als sie es gestern Abend beim Aufhängen war. Aber die Sonne scheint! Ein wunderbarer Morgen! Leider unser letzter, auch wenn wir kurz mit dem Gedanken spielen, das Wochenende einfach zu verlängern. Wir sind mit zu vielen Fesseln mit unseren Pflichten, Erwartungen und dem Alltag verstrickt, als dass wir uns so einfach dem Verlangen hingeben könnten. Aber wir kosten die gewährten Stunden mit allen Sinnen aus. Das geht am besten auf einer Holzbank. In der Bretterbude auf dem großen Rasenplatz neben unserem Zeltgelände sind Unmengen von Holzbänken und -tischen gestapelt. Die Tische sind leider allzu verkeilt, so dass wir erst das ganze Ensemble hätten umräumen müssen, um an einen davon zu gelangen. Aber eine prima Bank können wir ohne großen Aufwand herauslösen. Darauf zelebrieren wir ein ausgedehntes Frühstück, während dessen wir die immer wärmender werdenden Strahlen der höher steigenden Sonne inhalieren.

Ich mache mit Olav einen Erkundungsgang über die Insel, bei dem wir die Einzelheiten zum roten Symbol "Sonstige Zeltmöglichkeit" auf der Karte klären wollen. Die Insel ist nicht wirklich groß und der Hauptort, der auch der einzige ist, ist schnell erreicht. "Til Salg" scheint eine bedeutende Persönlichkeit auf den Inseln hier zu sein, denn an vielen Häusern liest man seinen Namen. Selbst der Krug, der bei meinem letzten Besuch hier noch in Betrieb war, ist in seinen Besitz übergegangen. Eine absehbare Entwicklung, aber sie macht wehmütig und nachdenklich. Am Nordufer, etwas westlich vom Segelhafen ist eine Anlandestelle, an der sogar zwei Trolleys liegen, mit denen man sein Boot zum Übernachtungsplatz bollern könnte. Den haben wir auf dem Herweg glatt übersehen, aber auf dem Rückweg erkennen wir den recht großen Karavan-Stellplatz, auf dem erstaunlich viele Campingwagen stehen. Das wäre eine Möglichkeit, wenn man mit einer Gruppe und in der Hochsaison unterwegs ist.

Es hätte auch den ganzen Tag schütten, kalt sein und wehen können - aber nichts dergleichen! Wir werden heute wirklich verwöhnt: Das Gras, die Boote und unsere Zelte sind furztrocken, als wir alles zusammenpacken (Nein, das Gras haben wir da gelassen, aber die Bank haben wir wieder weggeräumt!). Sogar unsere Wäsche auf der Leine hat sich der Wirkung der Sonne nicht verweigern können. Ich liebe es, meine Ausrüstung trocken in mein Boot zu stauen! Für heute steht keine große Bewährungsprobe an. Olav hat mit Hilfe von Trenks Navigationsrechner (so 'ne Art viereckiges Geodreieck mit Bindfaden dran) die Peilung von unserem Standort nach Mommark ausgependelt. 200 Grad - auf den nächsten vollen Hunderter gerundet. Wind findet eher nicht statt, dafür scheint die Sonne. Der Belt ist gegenüber unserer Herfahrt nicht wieder zu erkennen. Heute konnte man die Überfahrt auch mit einer Badenudel bewerkstelligen. Wir fahren mit konstanter Geschwindigkeit in Harmonie und Eintracht der Sonne entgegen. Aber irgendwann ist Trenk zuviel Harmonie, weil er in der Mitte zwischen uns fährt und ständig aufpassen muss, dass er weder mit dem einen noch mit dem anderen kollidiert. Also disharmonieren wir etwas und geben uns so mehr Raum.

Nach genau einer Stunde konstanter Paddelei machen wir fünf Minuten Pause. Eigentlich. Aber Trenk muss noch länglich auf seinem GPS rumprogrammieren, so dass Olav und ich uns schließlich nach knapp zehn Minuten auf den Weg machen, während Trenk immer noch in sein GPS vertieft ist. Als er ansetzt, uns wieder einzuholen, setzt auch wieder der lange vermisste Gegenwind ein. Es ist nicht viel, aber er ist spürbar. Allerdings taucht seine bremsende Wirkung in unserem Geschwindigkeitsdiagramm nicht auf, denn Trenk zieht einfach das Tempo seiner Aufholjagd bis zum Hafen durch. So erreichen wir Mommark trotz Pause und Gegenwind bereits nach zwei Stunden. Im Hafen steuern wir diesmal einen der Bootsstege an, denn den Slip haben wir nicht in guter Erinnerung. Dabei beeindruckt mich Trenk noch einmal, indem er sich während der Fahrt in seinem Boot hinstellt und dann elegant auf den Steg steigt. Das möchte ich auch können!

Vier Tage voller Gegenwind? Vier Tage mit tollen Erlebnissen, in toller Natur. In hohen Wellen und dichtem Nebel. In Sonne und Wind. In Einklang. Zusammen mit einem in den vergangenen Jahren so wunderbar gereiftem Partner und einem in den kommenden Jahren reifenden Neuling. Wunderbar, welche Erlebnisse so kleine Boote einem ermöglichen.

Samstag, 5. Oktober 2013

Südsee bei Gegenwind: Samstag (2/4)

Alle wissen: mein Boot ist immer das schwerste der Truppe. Was aber nicht alle wissen, ist, dass ich immer Unmengen von Dingen für den Fall der Fälle mitführe. Häufig bin ich sowieso als Fähnleinführer unterwegs und da wird wie selbstverständlich vorausgesetzt, dass ich Seenotmittel mitführe, ein Ersatzpaddel, Navigationsmittel, eine Schleppleine, aber auch ein Tarp für die Gemeinschaft, Ducktape fürs Boot, Pflaster für die Paddler, Ersatzbatterien, ein Radio für den Wetterbericht, einen Poncho als Schutz gegen Wind und Regen in Pausen an ausgesetzten Orten, von GPS-Gerät, Fotoapparat oder Filmkamera ganz zu schweigen.

Zwar versuche ich vor jeder Tour zu hinterfragen, ob ich die Ahle, die Handsäge, oder das Fernglas wirklich mitnehmen muss, nachdem ich die meisten Dinge immer treu quer durch die halbe Welt paddele,  aber sie nur sehr selten auch wirklich brauche. Auf dieser Tour aber hatte meine mehr als komplette Ausrüstung ihren großen Auftritt! Es fing schon im Hafen von Mommark an, als Olav feststellen musste, dass er sein Klopapier vergessen hatte. Kein Problem - ich habe immer drei (angefangene) Rollen dabei! Und sein Spiritus ist leider auch zu Hause geblieben. Kein Problem - ich komme immer mit gut der Hälfte meines Vorrats wieder zurück. Dadurch, dass ich auf der Überfahrt am ersten Tag die Kamera die gesamte Zeit über angeschaltet gelassen hatte, war sie natürlich am nächsten Morgen noch erschöpfter als wir. Kein Problem - ich führe ja immer meinen Power-Monkey mit, eine Art Über-Akku mit sage und schreibe 9000 Milliamperestunden Kapazität. Der kommt auch heute zum Einsatz, weil ich gestern abend meinen GPS-Tracker nicht ausgeschaltet habe und er fröhlich die ganze Nacht hindurch mitgeloggt hat, dass wir uns nicht bewegt haben! Und am ersten Abend habe ich die Gummidichtung des Brenners von meinem Trangia-Kocher gegrillt. Olav hatte sich schon gewundert, was es bei mir zum Abendbrot gibt, was so stinken kann. Kein Problem - ich fahre seit Jahren auch eine Ersatzdichtung spazieren. Irgendwann muss ich auch meine Stirnlampe eingeschaltet in meinen Bauchgurt getan haben, oder sie ist durch das Quetschen und Drücken beim Packen eingeschaltet worden. Jedenfalls hat sie viele Stunden das Innere meines Bauchgurtes beleuchtet - leider ohne, dass es jemand würdigen konnte. Als ich sie gestern Abend eingeschaltet habe, hielt ich extra meine Hand vor ihren Lichtaustritt, damit Trenk nicht blind wird, weil sie normalerweise krass grell leuchtet. Aber Trenk konnte nur mit Mühe erkennen, dass sie überhaupt eingeschaltet ist. Kein Problem - ich habe ja immer jede Menge Ersatzbatterien in allen Größen dabei! Und natürlich vergesse auch ich ab und zu den einen oder anderen Ausrüstungsgegenstand zu Hause. Kein Problem - dafür habe ich immer ein paar Kumpels dabei, die ich dann anschnorren kann!

Kein Wunder also, dass mein Boot immer das schwerste aus der Truppe ist! Und schließlich habe ich ja gestern bei Skjoldnäs auch noch den gelben Golfball gefunden...

Morgens war es noch recht klar, es hat sich dann aber rasch zugezogen, Es ist diesig und die Sicht nicht besonders gut, knapp fünf Kilometern vielleicht. Nach dem Frühstück stimmen wir uns per Handy mit Olav ab, dass wir tatsächlich Lyö als Treffpunkt wählen. Olav hat Zeit gehabt, die reichhaltige Funktionsvielfalt seines neuen Handys zu studieren und hat einen Wetterbericht eingeholt. Wind morgens drei bis vier, ab Mittag dann weniger. Die Richtung war entweder nicht dabei oder er hat sie vergessen. Von Sichtigkeit war auch keine Rede. "So gegen Mittag, wenn der Wind weniger wird, fahre ich los. Noch sehe ich Lyö nicht, aber die Sicht wird ja bald besser." Ich will ihn nicht beunruhigen und sage lieber nichts dazu, aber die Annahme, dass die Sicht besser wird, scheint mir rein hypothetischer Natur. Lyö liegt ungefähr acht Kilometer von seinem Standort entfernt aber wirklich verfehlen kann man es eigentlich nicht.

Wir wollen zwischen Drejö und Avernakö hindurch fahren und uns dann an der Nordseite von Avernakö nach Lyö hangeln. Die Spitze der Halbinsel Urehoved sehen wir zwar verschommen aber deutlich. Doch als wir sie passiert haben, verschlechtert sich die Sicht dramatisch. Ich liebe es, wenn rundherum nur Nichts ist und man sich auf seinen Kompass und seine Navigationskunst verlassen muss. Mittlerweile habe ich genug Erfahrung mit derartigen Situationen, dass ich vollkommen entspannt bin. Zudem haben wir hier keinen nennenswerten Strom und der Wind weht lediglich schwach bis mäßig aus westlicher Richtung. Es dauert unerwartet lange, bis wir einen Hauch von Drejö durch den Nebel erkennen können. Das liegt nicht daran, dass wir so langsam fahren, sondern daran, dass die Sicht mittlerweile auf ca. 500 Meter zusammengeschrumpft ist. Auch die lächerlichen drei Kilometer von hier bis Avernakö, ziehen sich ungewöhnlich lange hin, zumal ich sie in der Erinnerung als maximal 300 Meter abgespeichert habe. Es ist trotz aller Erfahrung immer wieder überraschend und ernüchternd, wie aufgeschmissen wir ohne unseren Gesichtssinn sind.

Nach der Pause am nördlichen Südostende von Avernakö geht es endlich wieder gegen den Wind! Es ist zwar nur eine gute drei, aber sie erzeugt in den hier recht flachen Wassern fiese Bremsewellen. Es macht Plitsch-Platsch-Plump - und das Boot steht! Dann kann man alle ehemals enthaltene Geschwindigkeit mühselig wieder hineinfüttern. Ein wenig freudvolles Spielchen!

Trenk ist etwas skeptisch, dass ich zum Übernachten auf die Westseite von Lyö fahren will. Als wir die Ostseite erreichen, bietet sie uns schließlich neben Sandstrand verglichen mit unserer letzten Heimstätte geradezu verlockende Verhältnisse, um unsere Zelte darauf aufzustellen. Und natürlich sind wir hier in Lee der Insel, würden also unbedingt windgeschützt stehen, etwas was man von der anderen Seite nicht ohne weiteres erwarten kann. Und ist nicht die letzte Gelegenheit, bei der er sich von mir "mal eben auf die andere Seite" hat locken lassen, im Chaos geendet? Ich bleibe fest und behaupte: "Auf der anderen Seite ist ein prima Übernachtungsplatz!" Immerhin habe ich das Argument auf meiner Seite, dass es morgen nicht so weit ist, wenn wir jetzt noch etwas paddeln. Natürlich weht es auf der andern Seite wieder und ich hoffe inständig, dass mich meine Erinnerung nicht noch einmal so arg täuscht, wie bei der Entfernung von Drejö nach Avernakö. Doch was wir vorfinden, übertrifft unsere Erwartungen: Direkt am Strand ein aus steingefüllten grünen Plastikkisten angelegter, provisorischer Hafen, etwas zurückgesetzt eine Rasenfläche hinter einer überwucherten Mauer, die allen Wind abhält - und eine prima Wäscheleine! Leider etwas kurz für drei Paddler, die nach einer Tour immer so viel nasse Wäsche wie eine zwölfköpfige Familie trocknen müssen!

Es ist halb vier - aber wo ist Olav? Wenn er Mittags losfahren wollte, muss er schon einen erheblichen Umweg genommen haben, wenn er jetzt noch nicht hier ist. Wir suchen die Wasserfläche in Richtung Ärö ab, aber da ist nichts zu erkennen, obwohl die Sicht mittlerweile wieder vollkommen klar ist. Vielleicht hat er dem Nebel oder der Alleinfahrt nicht getraut und ist nach Söby gepaddelt und von dort mit der Fähre nach Fynshavn gefahren? Wie auch immer, er wird uns eine Nachricht aufs Handy geschickt haben. Da ist auch was von "Neue Nachrichten" auf meinem Display zu erkennen, aber mit meinen altersichtigen Maulwurfsaugen muss ich Trenk bitten, es vorzulesen. "4 neue Nachrichten" - alle von Olav. Okay - wir hätten in der Pause vielleicht mal auf das Handy sehen sollen. In der Summe besagen die Nachrichten, dass er Lyö nicht sehen kann und deswegen solange Kaffee trinkt, bis es auftaucht. Die letzte Nachricht ging um halb drei raus und verkündet seinen Start - es ist also alles im Lot.

Es dauert keine viertel Stunde, da kommt ein einsamer Kajakfahrer angepaddelt - Olav! Es ist uns absolut schleierhaft, dass wir ihn nicht vorher auf der freien Wasserfläche entdeckt haben. Aber es zeigt, wie schlecht man als Kajakfahrer selbst bei guter Sicht erkannt wird.

Nach dem trüben Tag entwickelt sich der Abend sehr lieblich. Die Sonne geht, wie sie das immer tut, hinter Alsen unter und es entwickelt sich wieder ein fantastischer Sternenhimmel. Im Süden wächst der Leitstrahl von Skjoldnäs in aller Ruhe um seinen Leuchtturm herum.

Freitag, 4. Oktober 2013

Südsee bei Gegenwind: Freitag (1/4)

Die Nacht auf dem Kiesbett war ruhig. Der erste Blick aus dem Zelt ist vielversprechend: Trocken und kein Wind. Doch der Tag gestern hat seinen Tribut gefordert. Bei mir ist der Rückenmuskel auf der rechten Seite verspannt, Trenk schmerzt das Handgelenk und Olav braucht mindestens einen Tag Ruhe. Ehrlich gesagt, ist das ein geringer Preis für das, was uns gestern abgefordert wurde. Trenk hat über zwei Stunden eine Schleppleine hinter sich hergezogen, die ihn erheblich gebremst hat. Ich wäre wahrscheinlich nach der Hälfte der Zeit eingebrochen. Olav hat wacker einen Kampf gefochten, in dem die meisten schon beim Anblick des Schlachtfeldes klein bei gegeben hätten. Er aber ist fast dreieinhalb Stunden ohne Pause gegen einen konstanten fünfer Wind durch gigantische Wellen gepfügt - hat also Bedingungen standgehalten, die alles, was er bisher erfahren hat, um Dimensionen übersteigen. Sein Potential hat sich also gestern voll entfaltet. Aber heute morgen ist er verständlicherweise etwas zerknittert und möchte heute nicht mit uns weiterpaddeln. Er hat alles dabei, wir sind nicht weit von Söby entfernt und übermorgen werden wir uns wieder treffen - entweder hier oder, wenn die Umstände es zulassen, auf Lyö. Toillettenpapier habe ich ihm gegeben, auch etwas Spiritus für seinen Kocher. Für den Rest muss der Supermarkt in Söby herhalten. Trenk und ich werden uns heute allein gegen den Wind nach Osten kämpfen. Olav winkt uns etwas wehmütig vom Strand aus zu.

Der Kampf beginnt gleich nach ein paar hundert Metern hinter der nächsten Ecke. Die Abdeckung durch die Insel findet quasi nicht statt und so setzt sich fort, was wir gestern nur zu gern beendet hatten: Ein elendes Keulen gegen einen Wind, der alles daran setzt, unser Vorankommen zu verhindern. Spaß geht anders! Trenk fährt anfangs mit seinem Grönlandpaddel und mir reicht die moderate Geschwindigkeit eigentlich absolut. Als er es irgendwann wieder gegen sein Drachenpaddel aus Wales eintauscht, ist er gleich deutlich schneller und ich muss mich wieder mehr anstrengen. Bis zur Hafeneinfahrt von Söby fahren wir noch in gerader Linie über das offene Wasser. Danach hangeln wir uns dicht an das Ufer geschmiegt weiter nach Südosten vor. Unsere Geschwindigkeit geht auch tatsächlich um gut einen Stundenkilometer hoch: von etwa 4,5 auf etwa 5,5 Stundenkilometer!

Während wir so dicht am Ufer entlangschleichen, haben wir Gelegenheit, seine Eignung zum Anlanden gründlich zu studieren. Im Groben und Ganzen kann man sagen, dass sich die Nordseite von Ärö zum Anlanden nicht eignet. Aber es gibt immer wieder einmal kleine Streifen sandigen Ufers, an denen man dann doch ganz passabel an Land kommen könnte. Allerdings muss man eben wirklich dicht unter Land fahren, damit man diese Gelegenheiten erkennt. Nach etwa zwei Stunden sind wir so mürbe, dass wir an einer windgeschützten Stelle Pause machen.


Der weitere Weg ist mehr Kampf als Erholung, denn der Wind weht uns wie von der Vorhersage versprochen mit sechs Beaufort ins Gesicht. Leider haben wir keine rechte Idee, wo wir unser Lager aufschlagen sollen und so suchen wir etwas planlos die Gegend nach einer geeigneten Zeltmöglichkeit ab. Schließlich landen wir an der letzten Möglichkeit vor den Badehäuschen von Ärösköbing an - auch wenn es hier nicht wirklich einladend aussieht. Unter normalen Umständen hätten wir so einenPlatz nie als Heimstatt aufgesucht, sondern wären eher noch zwanzig weitere Kilometer gepaddelt. Aber die nicht einmal zwanzig von heute fühlen sich eher an wie sechzig - und da tut es eben auch ein Zeltplatz mit eher unterirdischem Komfort.

Wir machen noch einen ausgiebigen Spaziergang, der uns nach und durch Ärösköbing führt. Eine freundliche Dänin will mich fast auf der Stelle wegheiraten, so sehr gefällt ihr mein Outfit mit dem pink-grünen Patagonia-Flies aus den achtziger Jahren! Leider ist sie mit ihrem Fahrrad zu schnell außer Rufweite, so dass ich sie nicht nach ihren Vermögensverhältnisse fragen kann. Eine Tour zu zweit ist immer gut für intensive Gespräche über dies und das, die Famile, den Beruf, die Pläne - und manchmal sogar über das Paddeln. Auch einer der Aspekte, für die ich ausdehnte Touren liebe.

Donnerstag, 3. Oktober 2013

Südsee bei Gegenwind

Auch dieses Jahr war das Ziel der Wahl für die Tour am Einheitswochenende Samsö gewesen. Aber wie im vergangenen Jahr ist uns der Wind gehörig durch die Pläne geweht. Auf der Nordsee soll noch mehr Wind herrschen und so einige ich mich mit Trenk auf eine Tour durch die Dänische Südsee. Dort kann man immer hin - auch bei steifem Ostwind. Außerdem haben wir noch einige Rechnungen offen, die wir eventuell bei der Gelegenheit gleich begleichen können.

Olav ist diesmal neu dabei. Er ist ein Paddler mit großem Potential. Dieses Potential braucht Gelegenheit - und die wollen wir ihm geben. Als wir auf den Parkplatz in Mommark einfahren, fällt sein Blick gleich auf die schäumenden Wellen, die hier auf den Strand laufen. "Da sollen wir raus?", ist seine ungläubige Frage. Es überrascht mich etwas, dass er die hier noch vollkommen harmlos aussehenden Wellen als Problem ansieht. Aber es zeigt nur, dass es wir bei uns zu Hause allzu selten mit schäumenden Wellen zu tun haben, sonst würden ihm diese Dinger hier keine Angst machen. Bald trudelt auch Trenk ein und der möchte lieber durch das Hafenbecken losfahren, als vom sandigen Strand. Wir besprechen kurz, dass wir erst einmal keine Pläne machen, sondern "nur" bis zur Nordspitze von Ärö übersetzen und dann dort sehen, wie wir uns fühlen und den Rest des Tages verbringen wollen. Schließlich haben wir kein bestimmtes Ziel - und den ganzen Tag Zeit, es zu erreichen.

Beim Packen meiner Sachen erinnere ich mich an das Gefummele mit der Schleppleine, als ich sie bei der letzten Tour auf der Nordsee in hohem Seegang hinter meinem Sitz hervorkramen musste. Ich frage Trenk kurz, ob er seine während der Fahrt am Körper trägt. Tut er. Also ist für den unwahrscheinlichen Fall, dass wir eine Leine brauchen, eine griffbereit zur Hand - das sollte reichen. Ich packe heute besonders viel Gewicht in die vordere Luke, schließlich geht es gegen den Wind und da ist ein leichter Bug nicht zu gebrauchen. Ein schlauer Gedanke - aber leider nur halb und nicht zu Ende gedacht, wie sich später zeigen wird.


Die von einem hölzernen Fischer und einer ebensolchen Frau bewachte Rampe aus Beton ist denkbar ungeeignet. um ein Kajak darauf ins Wasser zu lassen. Sie ist halt mehr als Slip für Trailer von Segelbooten gedacht. Aber irgendwie bekommen wir unsere Schiffe doch zum Schwimmen und uns in ihre Luken gezwängt. Diese Tour ist die Premiere für meine neue Action-Kamera GoPro Hero 3 Black Edition! Ich habe sie vorne auf dem Bug montiert, am Arm trage ich die Fernbedienung, mit der ich sie an- und ausschalten kann. Ich hoffe, ich bekomme damit mal wirklich lebensnahe Bilder von meinen Unternehmungen.

Hinter der Mauer, die das Wasser im Hafenbecken glatt gehalten hat, geht es dann deutlich rauher zur Sache. Es fängt erst leicht an zu wellen und etwas zu spritzen. Ziemlich zügig werden die Wellen dann aber größer, größer als alles, was Olav bisher befahren hat. Ich halte mich dicht schräge hinter ihm, weil ich sehen möchte, ob sein Respekt ihm vielleicht den Schneid geraubt hat und ob er den Wellen Paroli bieten kann. Zum Glück platscht ihm ziemlich bald eine besonders hohe und steile Welle voll vor die Brust, so dass er Farbe bekennen muss. Der Angriff wird souverän abgewehrt, keine erkennbare Spur von Einschüchterung, eher: "Geile Nummer! Mehr davon!" So habe ich mir das gewünscht - nun müssen wir nur noch beharrlich nach Osten drängen, dann kann nicht mehr viel schief gehen.

Mit zunehmender Entfernung vom Ufer nehmen die Wellen immer mehr an Höhe zu, der Wind bläst mit guten fünf Beaufort aus südöstlicher Richtung. Es erinnert etwas an unsere Unternehmung vor drei Jahren, als ich mit Trenk und Jörg bei ähnlichem Wind in gleicher Mission unterwegs war. Für einen hoffnungsfrohen Neupaddler ohne viel Erfahrung sind das schon haarige Bedingungen. Ich bin immer wieder gespannt, ob Olav nach der nächsten Welle noch auftaucht - und ob dann Paddler und Boot noch in der richtigen vertikalen Anordnung sind. Aber was das angeht, mache ich mir offensichtlich viel zu viel Sorgen, denn er sitzt fest und sicher im Boot, wackelt kein Stück und auch sein Blick wird nicht starr. Allerdings zeigt sich ziemlich bald, dass es ihm sichtlich Mühe macht, die Richtung, die wir eigentlich fahren müssten, zu halten. Aber auch hier verhält er sich abgebrüht und fährt erst einmal den Kurs, den er ohne große Probleme halten kann. Später können wir dann einen anderen fahrbaren Kurs wählen, so dass wir im Mittel den gewünschten halten. Segler erreichen mit diesem Prinzip jeden Punkt dieser Erde, das klappt bei Paddlern prinzipiell auch. So fahren wir die erste Stunde also eher in Richtung Fehmarn als zur Nordspitze von Ärö, aber wir haben ja den ganzen Tag Zeit.

Mittlerweile haben die Wellen ihr Höchstmaß erreicht. Sie sind laut Vorhersage anderthalb Meter hoch, aber es folgen immer wieder Phasen, in denen sie die zwei Meter-Grenze locker übersteigen. So große Wellen habe ich auf der Ostsee noch nie erlebt! Ich bin ganz hin und hergerissen zwischen Begeisterung und leichter Sorge, denn irgendwann müssen wir einmal unseren Kurs ändern: wenn wir nach Fehmarn hätten fahren wollen, wären wir nicht in Mommark gestartet. Schließlich drehen Wind und Wellen den Bug von Olavs Boot einmal sehr deutlich aus dem Kurs, den er konstant halten kann. Er bemüht sich mit Bogen- und Konterschlägen, wieder in die alte Richtung zu kommen, aber es dauert sehr lange und ich erkenne, dass es ihn wirklich anstrengt. Er bekommt sein Boot wieder in den Griff, aber für mich ist dies das Signal, dass die momentane Taktik nicht sicher ans Ziel führen wird und wir handeln müssen. Ich spreche mich kurz mit Trenk ab. "Wir können entweder umkehren und um Alsen fahren, oder wir müssen Olav beim Halten der Richtung unterstützen.". Es ist ungemein beruhigend, einen so kompetenten Partner an der Seite zu haben. Auch ihm ist längst klar, dass wir etwas tun müssen, aber Umdrehen ist keine Option für Trenk. Gut, dass ich vorher nachgefragt habe, ob er seine Schleppleine am Mann führt! So ist klar, dass er ihn auf den Haken nehmen muss, wenn wir Ärö noch vor dem Dunkelwerden erreichen wollen.

Der  Schleppverband legt gleich ein mörderisches Tempo vor, dass ich kaum mitkomme. Es ist offensichtlich ein üblicher Reflex, dass man doppelt reinhaut, wenn man hinten einen Zug spürt. Aber wir haben noch eine erkleckliche Strecke vor uns und dieses Tempo kann nicht einmal Trenk die ganze Zeit über halten. Meinem Ruf zur Mäßigung wird bereitwillig Folge geleistet - wir haben ja auch den ganzen Tag Zeit! Mit der Schleppleine als beweglichem Treibanker kann Olav sich ganz darauf konzentrieren, nach vorne zu paddeln, ohne fünf viertel seiner Kraft dafür aufwenden zu müssen, die Richtung zu halten. Wir kommen nun ganz gut voran und Ärö kommt sogar näher! Ich bin vollkommen begeistert, dass wir im Seegebiet vor unserer Haustür solch phantastische Wellen haben. Ich versuche immer wieder, besonders beeindruckende Szenen mit der Kamera festzuhalten, aber nichts kann sich mit dem direkten Erleben messen. Als einmal ein Kawenzmann direkt vor mir bricht, schickt der Wasserdruck feuchte Grüße meinen Unterarm hinauf - durch den als Handgelenkswärmer getragenen Neoprenhandschuh und durch die eng anliegende Manschette meines Trockenanzuges hindurch!


In zähem Ringen erreichen wir irgendwann den steinigen Strand von Ärö. Wir haben drei Stunden und zwanzig Minuten gebraucht und dabei eine Strecke von ca. 14 Kilometern zurückgelegt - und das, obwohl Start- und Endpunkt lediglich elf Kilometer voneinander entfernt liegen! Unsere Spur zeigt, dass wir mit unseren anfänglich gefahrenen Kurs zwar doch Ärö erreicht hätten, aber erst in 18 Kilometer Entfernung und an einem Ort, an dem wir bei den Windverhältnissen lieber nicht sein wollten. Nach der Kopplung sind wir zwar einen besseren Kurs gefahren, haben aber nicht genügend vorgehalten und so eine beeindruckende Hundekurve hingelegt. Das lag nicht daran, dass wir nicht etwa um die Wirkung der Abdrift wussten, sondern daran, dass es nicht so einfach ist, in einem Schleppverband die Richtung exakt zu fahren. Da es für mich viel leichter war, die richtige Richtung zu steuern, bin ich immer wieder erheblich von den beiden anderen abgekommen. Dann habe ich teilweise echte Schwierigkeiten gehabt, meine Partner in den tiefen Wellentälern überhaupt zu sehen. Wenn ich etwas gesehen habe, dann war es meist Trenk. Erst nachdem der drei-, viermal hinter den Wellenkronen aufgetaucht ist, hat sich auch mal wieder der Kopf von Olav gezeigt. Auch wenn ich mich nie weiter als 50 Meter entfernt habe und ich den günstigeren Kurs fuhr, bin ich immer wieder dicht an die anderen rangefahren. Wenn tatsächlich etwas passieren sollte, sind 50 Meter eine verdammt weite Strecke - und welches der bessere Kur gewesen ist, ist dann herzlich belanglos.

Interessant ist auch der Plot für den Moment der Entscheidung. Meine Spur ist die anfangs weiter südlich verlaufende. Ich stoppe etwas früher als Trenk, weil ich näher an Olav dran bin und fahre zurück, um ihm Mut zuzusprechen. Auch Trenk dreht seine Fahrtrichtung um und fährt ein Stück nach Nordwesten. Für diesen Moment haben wir die Wellen von hinten. Das kurze rote Teilstück deutet an, dass Trenk hier mit hoher Geschwindigkeit eine Welle runterrutscht. Nachdem Olav wieder auf Kurs ist, gehen Trenks und meine Spur eng zusammen und verlaufen eine Weile fast übereinander. Das ist die Zeit, in der wir uns abstimmen. Danach machen die Tracks einen Knick nach Süden, weil wir auf Olav zufahren. Nachdem Trenk sich bei ihm eingeklinkt hat, geht es wieder weiter Richtung Ärö. Fast wie ein Film, so ein GPS-Track!

Bei unserer letzten Unternehmung haben wir diesen Strand noch als Zeltplatz abgelehnt und sind "kurz" um die Ecke gefahren, um dort fast unserem Verderben in die Arme zu laufen. Heute ist es noch früh am Tage und wir haben ja den ganzen Tag Zeit. Warum also hier auf Steinen zelten, wenn da um die Ecke doch bekanntlich Sand ist! Ich mache mich zu Fuß auf die Socken, werde aber, kaum dass ich um die Ecke bin, von einem heftigen Wind erfaßt und durchgeweht. Ich gehe das gesamte Flach ab - bis zu den berühmten Bäumen - es ist nirgends auch nur so etwas ähnliches wie Windschutz auszumachen und auch das Anlanden wäre hier mit den auf den steinigen Strand brechenden Wellen nicht ratsam. Ich erkunde auch noch den Strand in der anderen Richtung, aber auch dort gibt es nichts als mehr Wind und größere Steine zu gewinnen. Also erklären wir die Steinhalde, an der wir angelandet sind, zu unserem Zeltplatz.

Eigentlich steht man hier gar nicht so schlecht - bis auf die Tatsache, dass die Nordspitze auch unter Anglern ein Geheimtipp ist. Die Steine sind so klein, dass sie unter dem Zelt liegend nicht drücken können, aber groß genug, dass sie nicht wie Sand an allem kleben bleiben und sich knirschend in Proviant und Ausrüstung verteilen. Und es ist wunderbar ruhig hier - kein rauschender Wind, keine blöckenden Schafe, keine lärmende Vögel, na und Angler machen keine Geräusche. Während des gemütlich zelebrierten Abendessens fragt Olav mich, was das da sei und weist auf das Wasser hinter mir. Mitten auf dem Belt schwebt eine Seenotrakete rot vom Himmel herab. Wir stutzen etwas, können beim besten Willen nichts erkennen, aber ein Scherz wird das nicht gewesen sein. Wir warten noch ein bisschen, ob sich vielleicht eine zweite zeigt. Da kommt aber nichts und ich will mich schon zu den dänischen Anglern auf den Weg machen, um zu fragen, ob die so etwas ähnliches haben wie unsere Seenotrufnummer 124 124. Aber Trenk schaltet sein Funkgerät ein und hört, dass sich bereits mehrere Funkstellen über die Erscheinung unterhalten. Ein Fahrzeug meldet, dass es etwas gesichtet hat und sich auf den Weg macht. Etwas später ist von Ruder- oder Maschinenschaden die Rede - es ist etwas schwierig, den Funkverkehr zu verstehen. Es ist sehr beruhigend, dass eine einzige Seenotrakete eine dermaßene Aufmerksamkeit erzeugt, aber ich möchte trotzdem nicht herausfinden, ob das immer so ist und ob ein im Kleinen Belt schwimmender Paddler auch gefunden würde.

Über uns wölbt sich erhaben und klar die Milchstraße, die mir immer so viel Ehrfurcht einflöst. Hinter uns schickt der Leuchtturm seinen Strahl in die Runde. Er ist noch langsamer, als ich ihn in Erinnerung hatte. Ich schrieb damals, dass er nicht umläuft sondern umkriecht. Heute muss ich mich korrigieren: er kriecht nicht herum - er wächst herum!

Alle Bilder der Tour hier.

Sonntag, 25. August 2013

Grenzüberschreitung in kleinem Rahmen

Meine alljährlich im Vereinsrahmen angebotene Fahrt auf der Flensburger Förde und den angrenzenden dänischen Gewässern soll vornehmlich angehenden Seekajakern die Möglichkeit bieten, einmal über die Begrenztheit der eigenen Förde hinaus erste Erfahrungen auf offener See und mit längeren Touren zu machen. Ihr Titel "Grenzüberschreitendes Paddeln" ist selbstverständlich im doppelten Sinne gedacht: außer der Staatsgrenze soll dabei bewusst versucht werden, auch innere Grenzen zu überschreiten und so neues Land zu entdecken.

Die vielen Kandidaten, für die diese Tour gedacht und geplant war, waren dieses Jahr aber alle aus den unterschiedlichsten Gründen verhindert. Entweder sie waren noch in Urlaub, hatten sich den Fuß verknackst, einen wichtigen anderen Termin wahrzunehmen - oder haben sich kurz vor Loch eine ernste Erkältung aufgehalst, die eine Teilnahme nicht zuließ. Als ich im Vorfeld die Teilnehmerzahl zusammenschmelzen sah, kam mir das zuerst gar nicht unrecht. Mit einer kleinen Handvoll Paddler könnte ich über den Belt nach Liö fahren und wäre nicht unbedingt an hochoffizielle Übernachtungsplätze gebunden. Als am Ende nur noch Betzi und Jens als Mitfahrer übrigblieben, war dies auch mein eigentlicher Plan.

Aber dann fror die Windvorhersage für das gesamte Wochenende zu einer Fünf genau aus Osten ein, was geheißen hätte, dass wir uns zwei volle Tage gegen einen fiesen Widerstand hätten plagen müssen, um am letzten Tag vielleicht Rückenwind genießen zu können. Um dem Erholungsauftrag, den ich der Tour auch zugemessen habe, gerecht zu werden, entschloss ich mich dazu, die erste Übernachtung auf Broager und die beiden folgenden Tage im Alsensund zu verbringen. Einzig die Anlandung am steinigen Strand von Broager würde bei dem starken auflandigen Wind etwas anspruchsvoll werden. Aber ich war zuversichtlich, dass wir das hinbekommen würden.

Bei drei Teilnehmern kann man leicht mit einem einzigen Auto fahren, was ich sehr angenehm finde. Etwas weniger angenehm ist das Stehen im Stau vor Eckernförde, aber das wirft uns höchstens um eine Viertelstunde zurück. Jens hat sich sein Faltboot "Rennschnecke" mitgenommen, schließlich möchte er ausgiebig angeln. Es ist meine erste Tour, auf der ein Faltboot mit anderen Seekajaks zusammen auf Tour geht. Mit Jens im Cockpit habe ich weder Bedenken, was die Geschwindigkeit oder die Ausdauer angeht, noch die eventuelle Bewältigung eines ernsten Wassereinbruches oder gar einer Kenterung.

Dass die Wellen am Strand von Habernis kaum wahrnehmbar sind, rechne ich der Tatsache zugute, dass der ganz leicht südliche Ostwind in diese kleine Bucht nicht eindringen kann. Aber schon bald ist mehr Auf und Ab auf dem Meer. Es schwallt und spritzt und man sieht seine Mitstreiter nicht mehr durchgängig. Die Wellen sind lang und gleichmütig, meine Begleiter haben schon größere durchpaddelt und so können wir sie ungetrübt genießen. Fast - denn Jens wird durch das große Büschel Seegras, das er durch seine ausgebrachte Angel ständig hinter sich her zieht, arg gebremst.

Als die Wellen immer größer werden und vor dem dänischen Festland an einen Meter Höhe heranreichen, mache ich mir doch Gedanken, ob wir bruchfrei an der geplanten Stelle auf den Strand kommen werden. Aber auch hier bin ich mir sicher, dass sich niemand von uns aus der Ruhe bringen lassen wird. Als ich in alarmierter Stimmung auf den steinigen Strand zu fahre, muss ich feststellen, dass die Wellen hier am Ufer eher im Dezimeterbereich liegen und ich ohne Probleme aussteigen kann, bevor mein Boot auf die Steine dengelt. Einerseits etwas schade, dass wir um eine einmalige Erfahrung gebracht werden, andererseits auch tröstlich, dass wir nicht probieren müssen, ob unser Ausrüstung hinrecht, ein Loch im Boot zu flicken.

Wir sind ganz alleine auf dem Übernachtungsplatz und können für unsere zwei Zelte die schönsten Ecken aussuchen. Als wir unser Abendessen am Holztisch zubereiten, hat der Wind noch deutlich aufgefrischt und wird sich die gesamte Nacht hindurch nicht wieder beruhigen. Da wir hier praktisch mitten in einem Buchenwald zelten, erzeugen die Baumkronen ein wunderbares Rauschen, dass alle anderen Geräusche wie das Piepen irgendwelcher Zwitschmätze, das Blöcken nicht vorhandener Schafe oder das Schnarchen lieber Mitpaddler übertönt. Allerdings flöst mir dieses Rauschen doch so viel Respekt ein, dass ich zweimal in der Nacht aufstehe, um mich zu überzeugen, dass das Wasser noch nicht so hoch gestiegen ist, dass es unsere Boote aufschwimmen lässt.

Das Ablegen am nächsten Morgen ist ebenfalls entgegen der Erwartung problemlos. Draußen stellen wir zu unserer Freude fest, dass der nächtliche Wind ein gutes Werk getan hat: wunderschöne Wellen warten darauf, uns zu schaukeln! Wir fahren erst einen etwas großzügig gestalteten Vorhaltewinkel, damit wir die Chance haben, auf dem letzten Stück vor Sonderburg wenigsten etwas ins Surfen zu kommen. Im Alsensund sind dann absolut keine Wellen mehr festzustellen.

Am Steg des Paddelvereins hat sich eine recht große Menge Paddler in Seekajaks versammelt. Da ich weiß, dass der Sonderburger Klub überwiegend Rennboote besitzt, glaube ich nicht recht, dass es sich um hiesige Paddler handelt. Meine Versuch ins Gespräch zu kommen, führt aber nicht weit, weil sie zu sehr mit sich selbst und der bevorstehenden Abfahrt beschäftigt sind. Sie wollen erst nach Süden und dann später am Tag wieder nach Norden. Ich denke mir schon, dass wir sie vermutlich auf dem Übernachtungsplatz wiedersehen werden, den wir uns ausgesucht haben.

Eigentlich wollte ich auch auf dem Übernachtungsplatz Mittagspause machen, aber irgendwie habe ich das Schild übersehen oder nicht so schnell damit gerechnet. Auf jeden Fall sind wir schlicht an der Einfahrt vorbei gefahren, ohne sie wahr zu nehmen. Also landen wir am Sandstrand des Flachs direkt vor dem Eingang zum Augustenborgfjord an. Als Jens aus seinem Boot aussteigen will, kommt ein bärtiger Schrat auf ihn zu und sagt: "Ich glaub', ich kenn' dich!" "Ja - ich habe noch deine Thermosflasche!", entgegnet Jens ganz cool. Es handelt sich um Reinhard, der mit seinem Segelboot seit drei Monaten in den Gewässern hier unterwegs ist. Er ist neben Segler auch begeisterter Paddler und muss unbedingt einmal mein Boot probefahren. Und weil er Paddler so lieb hat, fährt er kurzerhand noch einmal zu seinem Segelboot und holt Kaffee, Kocher, Becher, Weißbrot und was man sonst noch so für ein ausgiebigen Nachmittagskaffee benötigt. Wir verbringen einige Stunden mit Schnacken, Kaffeetrinken und Marmeladenbrotessen in der sengenden Mittagssonne. Es ist das erste Mal auf einer Tour, dass ich zu wenig Marmelade mit habe! Und das obwohl ich nur zwei wirklich kleine Weißbrotscheiben gegessen habe.

Da der Tag noch jung ist, wollen wir noch etwas paddeln. Augustenborgfjord oder Dyvik hätten zu Auswahl gestanden. Wegen der fortgeschrittenen Tageszeit schränke ich die Auswahl auf Augustenborgfjord ein, denn nur da haben wir auf dem Rückweg keinen Gegenwind. Dafür müssen wir uns auf dem Hinweg sehr schinden. Betzi dreht irgendwann den Turbo auf, so dass wir sie nur noch als kleinen Punkt am Horizont sehen, der auf kürzestem Weg Land ansteuert. Dafür können wir aber deutlich den Seufzer der Erleichterung hören, nachdem sie dem abdominal drängenden Kaffee die Freiheit geschenkt hat.

Als wir den klitzekleinen Übernachtungsplatz vor Augustenborg erreicht haben, ist Jens nicht mehr allzu sehr daran interessiert, bis zum Ort selbst zu paddeln. Auch das mit der Rücktour müsste für seine Glückseligkeit heute nicht unbedingt mehr sein. Aber ich habe große Bedenken, dass unsere heutige Bequemlichkeit den Weg am morgigen Sonntag allzu lang werden lassen würde. So machen wir uns nach kurzer Pause und Stärkung wieder auf, bis zum Zeltplatz Arnkill zurück zu fahren. Der Rückenwind schiebt uns so gewaltig, dass wir bei einzelnen Surfs bis zu fünfzehn Stundenkilometer schnell sind. So ist der Rückweg zwar auch anstrengend, aber eben auf eine euphorische Art - und er ist schnell zurückgelegt. Am Rastplatz angekommen müssen wir erkennen, dass die dänische Gruppe tatsächlich recht groß ist und wir erst einmal ihre Kajak umsortieren müssen, damit wir überhaupt an Land kommen. Dafür haben sie ihre Zelte aber ausgesprochen kolligial aufgebaut, so dass wir kein Problem haben, für unsere ein freies Fleckchen zu finden.

Der Abend ist wieder lau und trocken, wir bekommen noch einmal Besuch von Reinhard und schließlich kommt sogar so etwas wie Kommunikation mit den Dänen zu stande. Sie kommen aus Kolding und die Tatsache, dass Jens Dänisch spricht, hilft sehr bei der Verständigung. Sie haben Unmengen von Eierpfannkuchenteig dabei und schaffen die entstehenden Fladen irgendwann nicht mehr alleine - da sind wir doch gerne hilfsbereit!

Das schöne an Touren auf der Ostsee ist ja die Tatsache, dass man so lange schlafen kann, wie man will - oder besser wie man kann! Keine Tide zwingt einen, vor dem Aufwachen aufzustehen, kein weglaufendes Wasser hetzt beim Frühstück. Ganz in diesem Sinne gehen wir den Sonntag an. Da der Frühstückstisch eh von der riesigen Horde aus Kolding belegt ist, suchen wir uns einen schönen sonnigen Platz mit Blick auf den Sund zum Frühstücken. Ich kratze die letzten Reste der Marmelade aus meinem Glas, um das verbliebene Weißbrot zu vertilgen und Betzi und Jens verputzen wieder unglaubliche Mengen Müsli. Ich weiß gar nicht, wie die beiden es damals in Alaska geschafft haben, all den Proviant für einen mehrwöchigen Trip in ihren Booten unter zu bringen.

Der Sund ist im wesentlichen lang, bietet aber kaum Gelegenheit für mühsame Paddelei, da der Wind eben recht gut abgeschirmt wird. Das monotone Vorwärtskommen im lieblichen Sonnenschein wird irgendwann jäh unterbrochen von einem "Fischschsch!". Nein, Jens hat es längst aufgegeben zu angeln! Ein kleiner Schweinswal taucht kurz auf, bläst seinen Lungeninhalt mit selbigem Geräusch in die Luft und ist auch schon wieder weg. Da der Sund nur eine Richtung kennt, schwimmt der Tümmler ein ganzes Weilchen genau vor uns her und das "Fischschsch!" kommt mit jedem Mal dichter. Allerdings ist es nie vorherzusagen, wo denn der "Fischschsch!" genau auftaucht, und bis man es mitbekommen hat, ist er auch schon wieder weg. Ein Foto ist also praktisch nicht möglich, aber mit etwas Glück habe ich ihn filmen können. Leider hört man den "Fischschsch!" nicht - nur ein überraschtes "Oh!" des Fotografen!

Bevor wir in Erwartung eines nicht unerheblichen Gegenwindes die Förde in ihrer vollen Breite von zwölf Kilometern queren, gehen wir noch einmal am Strand vor dem Sonderburger Schloss an Land, ruhen uns aus und stärken uns. Aber draußen stellen wir fest, dass sich der Wind gegenüber den Vortagen doch deutlich gelegt hat und nur noch mit gemütlichen vier Stärken bläst. So wird die Rückfahrt ganz entspannt und geht ohne großes Keulen über die Bühne. Irgendwann sichte ich eine recht große deutlich anders gefärbte Fläche Wasser. Meine Vermutung ist, dass sich hier ein großes Feld Seegras gesammelt hat, aber so ganz glaube ich meiner Theorie selbst nicht. Als ich näher paddle, um mich zu überzeugen, sehe ich, dass es sich um ca. 1,3 Milliarden Quallen handelt! Es ist schlicht kein Wasser mehr dazwischen, nur noch Quallen. Ich fahre kurz in den Glibber hinein, aber nur um festzustellen, dass es sich komisch am Paddel anfühlt und ich hier lieber nicht kentern möchte!

Selten habe ich mich auf einer von mir geführten Tour so entspannt gefühlt, wie auf dieser.! Das lag zum kleineren Teil daran, dass mit Jens und Betzie zwei Paddler mit waren, von deren Können und Erfahrung ich überzeugt bin und nach denen ich mich mich daher nicht ständig umdrehen muss. Zum größeren Teil hing das aber einfach damit zusammen, dass die beiden für sich genommen und auch in ihrem Auftreten als Paar ausgesprochen sympatische Zeit- und Zeltgenossen sind, die man gerne um sich hat.

Sonntag, 11. August 2013

Nordsee für Neuling 2013: Nachbereitung (3/3)

Die Tour ist gedacht als Möglichkeit, in einem geschützten Rahmen Erfahrungen im Seekajakfahren auf der Nordsee zu sammeln. Die Zielgruppe sind solide ausgebildete Paddler mit wenig bis keiner Erfahrung auf Tidengewässern aber mit der Bereitschaft, sich auf anspruchsvolle Bedingungen einzulassen.

Neben der reinen Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln, möchte ich auch das notwendige Handwerkszeug vermitteln und erwarte, dass es von den Teilnehmern auf der Tour angewendet wird. Daher ist die Vorbesprechung auch nicht als schlichte Informationsveranstaltung ausgelegt, sondern als Arbeitssitzung, auf der für die Tour relevante Fahrtvarianten ganz konkret ausgearbeitet werden.

Für die Vorbesprechung hatte ich alle relevanten Daten und Unterlagen besorgt und mitgebracht. Damit sind wir ziemlich schnell zu einem konkreten Plan für die gestellte Aufgabe gekommen. Nachteilig war, dass nicht alle Teilnehmer zur Vorbesprechung anwesend sein konnten, und dass durch meine Vorarbeit natürlich ein Teil der notwendigen Vorbereitung gar nicht geleistet werden konnte. Auch ist ein einziges abendliches Zusammensein nicht ausreichend, eine komplette Tour hinreichend auszuarbeiten. Eventuell wären länger vorher an die Teilnehmer verteilte Aufgaben besser geeignet, diesen Aspekt nachhaltig zu vermitteln.

Die Fahrt selbst war etwas stark Fahrtenleiter-orientiert durch die Tatsache, dass kein einziger Teilnehmer eine Karte vom Tourgebiet mit sich führte. Dadurch war es quasi nicht möglich, die Führung der Gruppe zeitweilig jemand anderem zu übertragen. Aber erst durch den Zwang, wirklich sicher wissen zu müssen, ob die Erscheinung da vorne nun Habel, Hooge, Hilligenlei oder doch nur ein Seehund ist, erhält man die Gewissheit, dass das theoretisch gelernte auch praktisch angewendet werden kann. Hier muss ich mir in Zukunft definitiv etwas einfallen lassen, sonst ist meine Fahrt nur eine weitere aus der Kategorie "Ich bin nur mit!"

Die Bedingungen waren keinesfalls kritisch, aber auch nicht so außergewöhnlich lasch wie im letzten Jahr. Wir hatten am zentralen Samstag auf der Rückfahrt wie vorhergesagt Windstärke fünf. Die Entscheidung, nicht zur Pallas zu fahren, war absolut richtig und notwendig (übrigens haben alle drei Gruppen, die unterwegs waren und anfangs geplant hatten, zum Wrack zu fahren, diese Idee unabhängig voneinander verworfen). Es gab allerdings keinen alten Schwell und der Wind ging mit dem Strom, so dass die Wellen sich durchaus im Rahmen hielten. Es war aber für die meisten Teilnehmer das raueste, was sie bis dahin erlebt hatten. Insofern also genau richtig, entweder ein Vorankommen zu bewirken oder erkennen zu lassen, dass hier eine Grenze liegt, die man nicht überschreiten kann oder will. In jedem Fall ist der Respekt vor dieser Windstärke zurückgekehrt, den man leicht verlieren kann, wenn man sie immer nur auf der Förde oder ähnlich geschützten Gewässern erlebt.

Das zentrale Ereignis, die Kenterung am Samstag nachmittag, hat der Tour außerdem eine besondere Note verliehen. Ich bin überaus dankbar für diesen Zwischenfall, denn er hat eine Fülle von Erkenntnissen unverlierbar in die Erinnerung gebrannt, die man zwar auch vorher schon kannte, aber nicht so wirklich ernst genommen hat. Zuerst gilt Sven absoluter Respekt, dass er wirklich ohne mit der Wimper zu zucken den Rettungsvorgang eingeleitet hat. Es war gut, dass ich gleich dazu gekommen bin, aber Sven weiter machen lassen habe. Sonst hätte es auch hier nur "Ich bin nur mit!" geheißen. Danach habe ich die beiden Akteure im Rücken gehabt, weil ich versucht habe, das Päckchen an der Kabbelzone vorbei zu schleppen.

Die zweite Kenterung ist ausschließlich der Tatsache geschuldet, dass sich noch zu viel Wasser in Brittas Cockpit befand. Wer einmal versucht hat, ein volles Cockpit mit einer Handpumpe zu leeren - während die Nordsee versucht, es mit jeder Welle wieder aufzufüllen - weiß, wie sehr das anstrengt und wie sehr man geneigt ist zu sagen: "Das Cockpit ist leer.", nur weil man keine Kraft mehr hat, weiter zu pumpen. Daher müssen sich zum einen die beiden Beteiligten beim Pumpen unbedingt abwechseln. Der nicht Pumpende muss versuchen, das Cockpit so gut es geht mit der Spritzdecke abzudecken und am Ende müssen beide überzeugt sein, dass das Cockpit leer ist. Auch ohne schwabbelndes Wasser im Boot ist ein einmal Gekenterter nicht mehr so sicher in der Hüfte wie vor dem Reinfall.

Als ich bei dem zweiten Ausstieg beschloss, meine Schleppleine klar zu machen, musste ich einsehen, dass sie hinter meinem Sitz nicht optimal gelagert ist. Ein Schleppgurt gehört um den Bauch! So musste ich erst mein Paddel aus der Hand legen, meine Spritzdecke öffnen, den Gurt hinter dem Sitz hervorkramen und unter den Decksgummis sichern, die Spritzdecke wieder schließen, den Gurt umlegen und in die Schnalle fummeln - um dann erst den Karabiner zwischen die Zähne zu nehmen! Das kostet unendlich viel Zeit und die anderen äußerten später ihr völliges Unverständnis darüber, wie ich das bei dem Seegang überhaupt bewerkstelligen konnte.

Mit dem Karabiner im Mund bin ich dann hurtig zu Svens Boot und habe ihn in die Vorleine eingehakt -
natürlich von unten! Doch als ich lospaddele, stellt sich kein Zug ein. Stattdessen ruft Sven nur, dass die Leine los sei. Vollkommen ungläubig ziehe ich das Schleppgeschirr ein und muss feststellen, dass die Sperrklinke nach dem Einhaken nicht zurückgesprungen sondern in ihrer geöffneten Stellung stehengeblieben ist. Auch bei "hurtig" muss also soviel Zeit sein, dass man überprüft, ob der Karabiner auch geschlossen ist. Zweiter Versuch, Karabiner geschlossen, losgepaddelt, Zug kommt auf und - zack, kein Zug mehr zu spüren. Abermals ratlos fische ich meine frei im Wasser schwimmende Schleppleine aufs Boot. Die Erklärung für das abermalige Fehlen finde ich erst später an Land: Ich hatte die Leine an einer der beiden an die Tasche genähten Gurtschlaufen befestigt. Der Stoff konnte natürlich dem gewaltigen Zug, den zwei angehängte Kajaks verursachen, nicht standhalten. Das hätte man vorher wissen können - wenn man sich gewissenhaft Gedanken gemacht hätte. Nun weiß ich es für alle Zeit. Zum Glück habe ich die kurze Schleppleine vorne auf dem Boot, so dass ich das eingeholte Ende der langen in deren einen Karabiner einhaken kann.

Das Schleppen ging ganz passabel. Zwischendurch hat auch Sabine noch eine recht kurze Schleppleine direkt an einem der beiden passiven Boote befestigt. Das war aber nicht hilfreich, weil ich weder sehen konnte, was vor sich geht, noch konnten wir uns koordinieren. Sie selbst hat es mehrfach der Gefahr des Kenterns ausgesetzt, weil der Zugunkt bei ihr  recht hoch lag und sich das Seil immer sehr ruckartig straffte. Dieses Rucken war auch bei Betzi und mir ein großes Problem. Wir sind schon ausgesprochen vorsichtig gefahren, um keine große Geschwindigkeitsdifferenz aufzubauen, und trotzdem riss es uns fast aus unseren Cockpits, als sich einmal beide Schleppseile gleichzeitig strafften. Wir hatten beide eine Ruckdämpfung in unserem Schleppgeschirr, waren aber erstaunt, wie wenig die bewirkt. Auch bei Betzi lag übrigens der Zugpunkt recht hoch. Wenn der Zug dann auch noch seitlich kam, war nur eine solide Stütze ihre Rettung.

Die Kenterung fand bei auflaufender Tide etwa fünfhundert Meter vom Jappsand entfernt bei einer Wellenhöhe von 60 bis 70 Zentimetern statt. Das Wasser war etwa neunzehn Grad warm. Selbst bei deutlich weniger Kompetenz kann man so eine Situation kaum als bedrohlich bezeichnen. Bei einer Wiederholung unter ähnlich günstigen Bedingungen würde ich versuchen, mich selbst komplett aus der Rolle des Agierenden heraus zu halten und stattdessen die Tourteilnehmer stärker in die Pflicht zu nehmen. Das erfordert eine wache Rezeption und Reflexion. Schon Sven die Regie beim Wiedereinstieg zu überlassen, kostete mich einige Zurückhaltung. Zwar waren zunächst alle Unbeteiligten genug damit beschäftigt, selbst aufrecht zu bleiben, trotzdem glaube ich, dass es insgesamt besser gewesen wäre, wenn ich mich darauf beschränkt hätte, die Sache zu koordinieren und zu überwachen. Es hätte viel stärker der Intention der Tour gedient, den Teilnehmern Wissen und Praktiken zu vermitteln als ihnen einfach nur ein schönes Erleben zu präsentieren.

Dieselbe Welle übrigens, die Britta aus dem Boot befördert hat, schob Klaus-Peter auf das in diesem Moment quer zu ihm fahrende Boot von Michael. Klaus-Peter fiel in Richtung auf Michaels Heck und konnte wegen der Enge nicht gescheit stützen. Ich hatte ihn schon im Wasser schwimmen gesehen, doch er griff geistesgegenwärtig das Heck von Michaels Boot und richtete sich dann wieder auf. Mit einer weiteren Person im Wasser wäre die Situation schon spannender gewesen, denn dann hätten sich zwangsläufig weitere Teilnehmer an der Rettung beteiligen müssen. Wäre dann auch noch Michael durch Klaus-Peter umgerissen worden, wäre ich bestimmt angefangen, nervös zu werden...