Sonntag, 23. November 2014

Kleiner Belt mit großen Wellen (3/3)

Es hat noch lange geregnet in der Nacht - und mein Zelt hat keinen Tropfen durchgelassen! Die erste Version meines Zeltes muss tatsächlich ein Montagsexemplar gewesen sein! Irgendwann hat der Regen dann aber doch aufgehört - der Wind jedoch nicht. So sind unsere Zelte leidlich trocken, als wir sie verlassen. Jörg hatte gestern noch einmal sein Smartphone zu Rate gezogen und nach der Wettervorhersage für heute gesehen. Da soll ab 11 Uhr die Sonne scheinen! Also schön langsam machen, dann haben wir eine herrliche Überfahrt.

Das mit dem langsam machen bereitet aber insofern Probleme, als dass wir gestern verhältnismäßig früh in die Federn verschwunden sind und es uns nach zehn Stunden nicht mehr auf unseren Isomatten hält. So fangen wir also schon im Dunkeln noch vor Sonnenaufgang mit dem Frühstück an. Irgendwie schaffen wir es dann aber doch, unsere Vorbereitungen so sehr in die Länge zu ziehen, dass wir die günstige Gelegenheit verpassen. Denn leider erweist sich die Sache mit dem angekündigten Sonnenschein als Flop: Just als wir unsere Zelte abbauen wollen, fängt es an zu regnen. Es hätte so schön sein können, die Zelte trocken einzupacken!

Bevor wir die gastliche Hütte verlassen, müssen wir sie noch wieder so herrichten, wie wir sie vorgefunden haben. Nach unserer Aktion sind die Bänke und Tische darin deutlich sorgfältiger angeordnet als vorher. Wir hoffen, dass man sich daran für die Zukunft ein Beispiel nimmt.

Die Sicht ist etwas diesig, man kann Alsen zwar im Dunst erahnen, unser Ziel Fynhav aber nicht erkennen. Der Kurs für den Herweg betrug etwa 60 Grad. Also müsste er für den Rückweg bei etwa 240 liegen. Da wir ziemlich südliche Winde haben, schlage ich 210 Grad als erste Näherung vor. Damit machen wir uns auf den Weg. Der Wind ist zwar etwas schwächer als er gestern war, aber die Wellen in Strandnähe sind trotzdem genau so groß.

Durch unseren sehr südlichen Kurs haben wir den Wind viel stärker von vorne als auf unserer gestrigen Tour von Avernakö hier herüber. Auch wenn der Wind recht stramm geht, bereitet es uns keine nennenswerten Probleme. Bereits nach einer viertel Stunde lässt er überraschend etwas nach, wodurch sich unsere Geschwindigkeit merklich erhöht,w as sich in der "roteren" Spur auf dem Bild bemerkbar macht. Ziemlich genau in der Mitte des Beltes nehmen Wind und Wellenhöhe aber wieder deutlich zu, so dass wir wieder entsprechend gebremst werden. Mit der variierenden Geschwindigkeit passen wir auch unseren Vorhaltewinkel etwas an. Wir können unser Ziel erst sehr spät verlässlich erkennen aber die geschätzten 210 Grad waren schon ein optimal gewählter Wert.


Das Ansteigen der Wellenhöhe geschieht übrigens ungemein abrupt. Ohne dass wir uns versehen, stecken wir plötzlich mitten zwischen ein bis anderthalb Meter hohen Wasserbergen. Eigentlich tun die Wellen einem nichts, aber man muss sich dessen schon von innen her sicher sein, sonst fühlt man sich hier nicht wohl. Es ist ein gutes Gefühl, mit Partnern unterwegs zu sein, von denen ich weiß, dass sie sich hier auch wohl fühlen - machmal vielleicht sogar etwas zu wohl!

Als wir in den Segelhafen einlaufen, gibt Trenk uns noch eine kleine Kostprobe seiner Kunst: nach einer eleganten Rolle stellt er sich in seinem Cockpit auf, fährt bis zum Slip und steigt elegant aus seinem Boot aus - während ich wie ein nasser Sack am Steg hänge und versuche, mich an Land zu wuchten! Warte nur, ich werde das auch üben - und dann sieht Trenk irgendwann ganz alt aus!

Samstag, 22. November 2014

Wieder nicht nach Helnäs! (2/3)

Die Nacht war vor allem feucht. Es hat zwar nicht geregnet, aber die Luftfeuchtigkeit war nahe am Anschlag, so dass mein Schlafsack außen regelrecht nass war. Zum Glück ist erheblich Wind aufgekommen, der wenigstens einen Teil der Feuchtigkeit aus dem Zelt geweht hat. Da der Himmel heute klarer ist und so gegen acht Uhr auch endlich die Sonne aufgeht, trocknet mein Daunensack aber wieder problemlos an der Luft. Beim Frühstück in der Hütte muss ich feststellen, dass irgendwelches Getier sich durch meinen Brotbeutel genagt und an seinem Inhalt gütlich getan hat. Das war eine ärgerliche Unachtsamkeit von mir.

Schon unsere Tour im vergangenen Jahr hatte nur das eine erklärte Ziel gehabt, die Helnäs-Bucht zu erkunden und den dortigen Übernachtungsplatz zu besichtigen. Schon damals hat uns der Wind durch die Pläne geblasen und uns etwas anderes diktiert. Dieses Jahr wollten wir die Erkundung nachholen - aber die Umstände sind abermals nicht mit uns. Es sollen durchgehend südöstliche Winde im oberen Bereich von fünf Beaufort herrschen. Das würde eine gemütliche Hinfahrt bedeuten - aber die Arme auf der Rücktour lang werden lassen. Ich bin ein großer Fan von Rückenwind auf der Heimtour, und zusammen mit Jörg können wir uns gegen den Rest der Gruppe durchsetzen, dass wir lieber nördlich um Lyö und Avernakö herum fahren und dann auf der Südseite der Inseln zurückrauschen.

Im kleinen Plastikhafen stehen ordentliche Wellen und als ich entgegen meiner Gewohnheit heute rückwärts mit dem Boot in See steche, steht mir am Ende das Wasser in meinem Cockpit bis zu den Hüften. Was für ein Glück, dass ich eine Schenkelpumpe habe, so dass ich nicht wieder an Land muss, sondern die ungeliebte Flüssigkeit en passant an ihren eigentlichen Bestimmungsort befördern kann. Ich bin einigermaßen überrascht über die Höhe der Wellen, denn an diesem Teil des Strandes befinden wir uns eigentlich noch im Windschutz.

Bis zur Nordspitze von Lyö lassen wir uns von Wind und Wellen schieben. Plötzlich meine ich so etwas wie einen Schweinswal in unmittelbarer Strandnähe auftauchen zu sehen. Als ich genauer hinsehe, kann ich an der Stelle nur zwei schwarze ballartige Erscheinungen sehen. Vermutlich war es nur irgendeine Ente, die kopfüber abgetaucht ist und so den Eindruck eines Walrückens hervorgerufen hat. Nach einiger Zeit erkenne ich aber einen Tauchrucksack, der über die Wasseroberfläche wandert und dann schließlich auch die beiden dazu gehörigen Taucher. Was um alles in der Welt veranlasst einen, Ende November bei fiesem Wind in der aufgerührten, kalten Ostsee rumzutauchen? Was gibt es doch für verrückte Menschen auf der Welt!

Die Strecke zwischen dem Ende von Lyö und dem Anfang von Avernakö beträgt etwa sieben Kilometer. Kein wirkliches Problem eigentlich - wenn da nicht der genau gegenan stehende Wind wäre. Es sind die vorhergesagten acht bis zehn Meter pro Sekunde - also fünf bis sechs Beaufort. Die Wellen laufen nicht besonders hoch auf, dazu ist hier das Wasser noch zu flach. Während wir uns verbissen nach Osten kämpfen, begegnet uns erst ein Marineschiff, dann wankt ein Segelschiff vorbei, dessen Besatzung respektvoll grüßt. Schließlich kommt das Marineschiff wieder von hinten auf und nach einiger Zeit nähert sich ein Schnellboot, das offensichtlich dazu gehört. Es kommt so dicht heran, dass es unzweifelhaft ist, dass sie das unsretwegen tun. Vermutlich denken sie, was es doch für verrückte Menschen auf der Welt gibt. Die Mannschaft will mit uns Kontakt aufnehmen - allein bei dem herrschenden Wind können wir nicht einmal feststellen, ob sie dänisch, deutsch oder vielleicht englisch sprechen. Da wir annehmen, dass sie sich lediglich überzeugen wollen, ob wir OK sind, halten wir einfach unsere Daumen nach oben. Man legt den Hebel auf den Tisch und überlässt es uns, wie wir mit der mächtigen Heckwelle zurecht kommen. Ich nutze die Gelegenheit, mal wieder ein Foto zu machen und werde für die kleine Zeit des Nichtpaddelns damit bestraft, dass ich fast auf eine grüne Kardinaltonne getrieben werde und heftig rudern muss, um sie unfallfrei zu passieren.

Unsere Geschwindigkeit ist nicht gerade rekordverdächtig. Auf der Gegenwindstrecke sind wir mit nur knapp über vier Stundenkilometern unterwegs. Das soll nicht heißen, dass wir gemütlich gefahren wären! Jörg gesteht uns nachher, dass er am Ostende von Lyö überlegt hat, ob er uns alleine weiterfahren lassen soll, hat dann aber doch die Zähne zusammen gebissen und selbige dem Wind gezeigt. Auf Avernakö kommen wir rechtschaffen erledigt im Fährhafen an. Dort setzen wir uns in das Wartehäuschen, das tatsächlich sogar ein bisschen geheizt ist und überlegen, wie wir den Tag weiter gestalten. Teile der Gruppe wollen die Umrundung von Averakö zumindest noch ein klein wenig weiter treiben. Jörg und ich tendieren eher dazu, den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen und direkt den Rückweg anzutreten. So machen wir es dann auch.

Während Jörg und ich eine beeindruckend gerade Spur mit unserem Rückweg durch das Wasser ziehen, stattet Trenk quasi als Ausgleich für die entgangene Umrundung Avernakös noch einer gelb-schwarzen Kardinaltonne einen Besuch ab. Dadurch ist er erst nur ein paar hundert Meter von uns entfernt, dann fünfhundert, schließlich über tausend. Irgendwann können wir ihn nicht mehr sehen. Wenn jemand hier problemlos alleine paddeln kann, dann ist es Trenk - aber ein beklemmendes Gefühl haben wir schon.

Zurück an der Hütte müssen wir feststellen, dass sie für östliche Winde und Regen, der inzwischen eingesetzt hat, nicht konstruiert ist. Durch die freie Türöffnung dringt der Regen direkt auf unsere Sitzbänke. Da muss Abhilfe her. Zum Glück liegt ja allerhand Kram in der Gegend rum, mit dem sich einiges anstellen lässt. So sind bald eine kräftige Plane und die benötigten Bändsel gefunden, mittels derer wir eine 1a-Abdichtung konstruieren. Auch im Inneren sortieren wir noch einmal etwas um, so dass mehr Gemütlichkeit aufkommen kann. Jörg hat wieder Kakao mit Schnaps dabei. Diesmal statt Kirschwasser Marillenlikör - dafür aber ohne Kakao!

Die Krux bei einer Wintertour ist, dass es um kurz nach vier dunkel wird. Da bleibt noch ziemlich reichlich Zeit zum Vertreiben, bis man sich in den Schlafsack verkriechen kann. Die Option mit dem Spaziergang über die Insel fällt leider aus, da es in Strömen regnet. Also verlegen wir uns auf Kochen, Essen, Schnacken und auf die Uhr gucken. Zwischendurch kommt uns hin und wieder der kleine Mitesser besuchen, der sich gestern an meinem Brot dick und rund gefressen hat.

Freitag, 21. November 2014

Meeresleuchten! (1/3)

"Übrigens: die Wettervorhersage für das kommende Wochenende sieht einigermaßen freudlos aus." Mehr noch als eine Information enthielt der Satz, mit dem Jörg mich nach dem Brandungspaddeln am vergangenen Samstag verabschiedete, eine Botschaft. Die Information war dürftig: eine Wettervorhersage von Samstag für den darauf folgenden Freitag ist inhärent vage. Aber die Botschaft war klar: "Rechnet nicht allzu fest damit, dass ich mit von der Partie sein werde!"

So ist im Vorfeld noch einiges an subtiler Intervention notwendig, um den bekennenden Warmduscher und Winter-Camping-Vermeider Jörg zu überzeugen, dass er mit uns auf Kaperfahrt fahren will. Aber nachdem die Wettervorhersage der folgenden Tage keine unheilbaren Mängel mehr erkennen lässt und auch der Versuch, sieben Meter pro Sekunde als sieben Beaufort auszugeben, reumütig zurückgezogen wird, erkenne ich in seiner Stimme wieder die unverkennbare Vorfreude, dem Alltag ein kleines Abenteuer am wenn auch nasskalten so doch lieblichen Busen der Natur abzugewinnen.

Geradezu lieblich ist auch das für Freitag angekündigte Wetter. In Kiel trifft das auch noch uneingeschränkt zu, aber als wir uns Rendsburg nähern, müssen wir merklich die Geschwindigkeit reduzieren, weil die Welt sich dort in dichten Nebel gehüllt hat. Im letzten Jahr hatte ich überlegt, ob dichter Nebel eine Nachtfahrt eigentlich schwieriger macht. Man sieht ja eh nicht wirklich etwas. Aber zum Glück handelt es sich bei der Eintrübung nur um eine lokale Erscheinung. Schon südlich von Schleswig herrscht wieder klare Sicht bei wunderschöner Herbstsonne.

Wir sind bereits um halb fünf im Hafen von Fynshov - etwa genau so spät wie bei der Tour im vergangenen Jahr. Aber es ist zwei Wochen tiefer im Winter - und damit bereits jetzt viel dunkler als damals. Dafür ist es die erste Begebenheit, bei der wir tatsächlich früher als Trenk am verabredeten Treffpunkt sind! Die Boote werden mit Knicklichtern geschmückt in der Hoffnung, dass wir uns selbst etwas besser und die Kompasse wenigstens halbwegs sehen können. Das hat auch schon beim letzten Mal nur eingeschränkt funktioniert.

Es herrscht absolute Flaute - dafür ist es nicht unbedingt lau. Aber immerhin ist die Wassertemperatur noch zweistellig - ein unglaublicher Zustand für Ende November! Noch im Hafen sehen wir, dass das Wasser anfängt zu leuchten, wenn man es mit dem Paddel umrührt. Dieser Effekt wird auf dem freien und vollkommen ungestört daliegendem Wasser noch stärker. Ich bin sofort absolut fasziniert und möchte das Phänomen gerne fotografieren - aber meine Versuche scheitern kläglich. Am schönsten sieht es dort aus, wo der Bug sich durch das glatte Wasser schneidet und dabei zwei leuchtende Fahnen glitzernder Perlen absondert. Es erinnert an den Funkenflug bei einer Flex, die sich durch ein Stahlblech fräst. Nur weiß statt rot - und geräuschlos statt ohrenbetäubend (damit man überhaupt einen kleinen Eindruck bekommt, habe ich mal bei YouTube nach Meeresleuchten gesucht). Das Leuchten wird mal stärker und mal schwächer. Als etwas Wind aufkommt, ist es fast vollkommen verschwunden. Erst ganz dicht vor Lyo soll  es wieder in voller Pracht hervortreten. Auch wenn die folgenden Tage absolut unerquicklich würden, allein um dies hier zu erleben, hat sich die Fahrt schon gelohnt.

Die Navigation ist wieder nicht ganz trivial, denn die Gegend ist knapp mit Seezeichen. Allein der Leuchtturm von Skjoldnäs ist immer und verlässlich zu erkennen. Anfangs haben wir einen phantastischen Sternenhimmel, der sich aber später hinter eine Wolkendecke zurückzieht. Es leuchtet allerhand Kleinkram in der Gegend rum, aber außer zu raten, was die Erscheinungen im Einzelnen darstellen könnten, haben wir kaum eine Strategie. Wir haben exakt Neumond und auch wenn ich keine rechte Erklärung dafür habe, sehen wir anders als beim letzten Mal die Insel, die wir erreichen wollen, diesmal von Anfang an als tiefschwarze Struktur vor uns. Außerdem ist mein Kompass heuer doch besser abzulesen, denn er ist deutlich weniger beschlagen. So kann also nicht wirklich etwas schief gehen.

Wir paddeln in einer zauberhaften, ruhigen Stimmung über den Kleinen Belt - immer etwa in Richtung 60 Grad. Als unser Ziel schon zum Greifen nahe aussieht, lege ich eine Pause ein - damit ich genußvoll meine geschmierte Stulle verdrücken kann. Was für ein Luxus: unter sternenklarem Himmel in absoluter Windstille irgendwo auf dem tiefdunklen Meer ein Leberwurstbrot mümmeln zu dürfen! Ein paar hundert Meter bevor wir auf den Strand laufen, überprüft Trenk unsere Position mit seinem GPS: wir sind einen knappen Kilometer zu weit nördlich angelangt und müssen die Strecke zurückfahren. Den Getränkekisten-Hafen treffen wir mit absoluter Exaktheit, trotzdem er wieder zum größten Teil unter Wasser liegt - so ein GPS-Gerät ist schon ein großer Segen!

Bevor wir unsere Zelte aufbauen, müssen wir in der Holzhütte, die uns letztes Jahr schon so gute Dienste geleistet hat, Ordung schaffen. Die Bänke darin sind diesmal deutlich liebloser verstaut worden, und außerdem liegt ein Unmenge dicker Stahlrohre direkt im Eingang, die wir wegräumen müssen. Aber schließlich haben wir uns ein akzeptables Etablisment geschaffen, in dem wir gemütlich den Abend verbringen.

Samstag, 15. November 2014

"Ostwind!"

Einige Tage lang geistert ein Mail-Thread mit dem Titel "Ostwind" durch die Mailingliste des Vereins. Es besteht Hoffnung auf Brandung und auf eine solche warten wir doch alle! Es melden sich einige Interessierte und auch die Frage der notwendigen Transportmittel kann geklärt werden. So finden sich am Ende fünf leuchtende Augenpaare vor der Bootshalle ein - zwei mit genau gar keiner und eines mit immerhin geringfügiger Brandungserfahrung.

Jörg und ich hatten uns vorher auf Brasilien als Austragungsort geeinigt, auch wenn die Windrichtung dafür nicht optimal ist. Aber wir müssen erst einmal einige Überzeugungsarbeit leisten, dass das einzige, was für Bülk bzw. Strande spricht, die relative Geschütztheit beim Einsetzen im dortigen Segelhafen wäre. Wenn man diesen dann aber verließe, wäre man mittendrin im Chaos und es gäbe keine einfache Rückzugsmöglichkeit bei eventuellen Schwimmeinlagen. Wir beharren mit Nachdruck auf unserer Wahl uns werden im Nachhinein froh darüber sein.

Am Mittelstrand sind alle Kite-Surfer dieser Welt versammelt. Offensichtlich funktioniert deren Wetter-Sensorik noch besser als unsere. Die Ostsee ist groß und da sie in aller Regel weiter draußen fahren als wir, werden wir uns schon nicht ins Gehege kommen. Johanna ist heute mit dabei und will ihre ersten Brandungserlebnisse sammeln. Bevor sie - am Brandungsgürtel im Boot sitzend - sich auf ins Abenteuer wagen kann, wird sie ausführlich von Peter instruiert. Ich bekomme den Text nicht vollständig mit, denn der Wind verweht das meiste, bevor es an meine Ohren dringt. Entweder hat der Wind ihn auch von Johannas Ohren verweht, oder Peter hat den Teil ausgelassen, der davon handelt, dass sie erst einmal in unmittelbarer Ufernähe bleiben soll. So sehen wir also unsere wackere Novizin tapfer eine Welle nach der anderen abreiten und sich immer weiter nach Dänemark vorzuarbeiten. Als sie sich daran macht, den Molenkopf zu passieren und immer noch keine Anzeichen eines Umdrehens zu erkennen sind, bitte ich Peter, sie zurückzuholen. Kaum ist er losgefahren, dreht sie zum Glück um und paddeln wieder auf den Strand zu. Es dauert etwa zweieinhalb Wellen, dann schwimmt sie zwischen den brechenden Kämmen. Nur wenig später bildet auch Peter keine Einheit mehr mit seinem Kajak sondern übt sich in der ersten Disziplin des Triathlons. Was für ein Segen, dass sich diese Szene nicht hundert Meter vor dem Hafen von Strande abspielt!

Die Wellen sind nicht sehr groß, bei weitem nicht so groß, wie bei dem Versuch, bei dem Jörg eine Welle rückwärts runter gerutscht ist, weil sie zu hoch und zu steil war. Und sie sind recht chaotisch, aber sie sind vollkommen hinreichend und gut geeignet, den Umgang mit schäumendem Wasser zu lernen und zu üben. Unsere drei Neulinge nehmen diese Gelegenheit auch mit großer Unerschrockenheit wahr und man kann bei allen Dreien zusehen, wie sie immer mehr Sicherheit erlangen. Allerdings kann man alle drei auch immer wieder schwimmen sehen. Auch wenn sie die Rolle "im Prinzip" (aka "im Hallenbad") können, klappt sie hier - verständlicher Weise - nicht.

Jörg führt heute seinen neuen Trockenanzug das erste Mal aus. Ich muss mich erst noch an die neue Farbe gewöhnen - sonst suche ich immer ein orangenes Männchen im Schaum - nun muss ich mich auf Gelb umstellen! Auch wenn die Bedingungen für uns heute recht gut zu handhaben sind, ist es eine gute Gelegenheit, sich ihnen mal wieder zu stellen. Der Wind weht fast genau parallel zum Strand, das Fahren nach Lee ist ein genussvolles aber leider kurzes Vergnügen. Sich wieder zum Ausgangspunkt zurückzuarbeiten ist mörderanstrengend.

Beim Spielen in den Wellen reißt es mich zweimal so weit aus der Senkrechten, dass ich mit dem Kopf unter die Wasseroberfläche muss. Aber beide Male behalte ich den Überblick und setze ganz bewusst und entspannt eine Rolle an. Das Training der vergangenen Jahre und bestimmt auch die Praxis im Wildwasser im Sommer
zeigen ihre Früchte. Wie schloss der Bericht über das damalige Brandungspaddeln so schön: "Üben übt!"

Sonntag, 5. Oktober 2014

Sommer auf Samsö - im Oktober! (3/3)


Die Nacht war sternenklar und trotzdem trocken. Unter dem schützenden Dach der Bäume entwickelt sich kein Tau. Während auf den Wiesen außerhalb des Waldes das Gras überall patschnass ist, sind unsere Zelte hier furztrocken geblieben. Genialer Schachzug von uns! Außerdem hat heute niemand Schwierigkeiten, bis halb acht zu schlafen. Kunststück - schließlich waren wir gestern Abend ja auch erst spät im Bett!

Die Schulklasse, die sich den Übernachtungsplatz mit uns geteilt hat, lässt sich mit einem Trecker abholen. Aber irgend jemand von ihnen hat sein sorgsam geschmiertes Butterbrot und die Banane liegen lassen. Wir erbarmen uns der waisen Dinge.

Die Fahrt am Nordufer der Insel entlang ist entspannt, denn hier haben wir noch etwas Rückenwind. Die Steilküste am Westende ist durchlöchert von den Bauten der Uferschwalben. Von den Gryllteisten, die Jörg und ich im vergangenen Frühjahr hier angetroffen haben, ist nichts zu sehen. Die tauchen wohl tatsächlich nur zur Brutpflege hier auf. Peter kennt keine Gryllteisten und als ich sie ihm als eine Art Alke zu erklären versuche, versteht er. "Das sind doch so eine Art Möven, oder?". Eigentlich sind im Grunde ja alle Vögel nur so eine Art Möven.

Nachdem wir die Insel hinter uns gelassen haben, müssen wir unseren Kurs nach Süden wenden. Ich hatte für heute einen zähen Kampf gegen den Wind erwartet, aber zum einen weht er nicht so stark wie befürchtet und zum anderen hat er seine Richtung gegenüber gestern wieder etwas weiter östlich gelegt. So haben wir ihn also eigentlich genau von querab und diese Richtung macht viel weniger Mühe, als ich erwartet hätte. Es macht einen Heidenspaß mit den Wellen zu spielen und ich denke zu Abwechslung sogar daran, ein paar Filmsequenzchen von unserer Überfahrt zu erstellen.

Seit Wochen denke ich an jedem Wochenende, dass dies vermutlich das letzte sommerliche des Jahres ist. Und seit Wochen folgt auf ein ein schönes Wochenende ein ebenso schönes. Dass wir mit unserer Tour noch ein solches Glück mit dem Wetter haben würden, konnten wir nicht hoffen. Umso glücklicher sind wir, dass wir es so getroffen haben und genießen konnten. Das wird uns helfen, den Alltag daheim eine Weile lang ohne den Rückgriff auf starke moralische Grundsätze bestreiten zu können.

Samstag, 4. Oktober 2014

Sommer auf Samsö - im Oktober! (2/3)


Auch ich war gestern Abend dann doch recht früh im Schlafsack. Trotzdem habe ich keine Probleme bis sieben Uhr durchzuschlafen. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen und auch aus den Zelten meiner Begleiter dringt kein Lebenszeichen. Also mache ich erst einmal einen Spaziergang auf den nahegelegenen Hügel. Von hier aus hat man einen prächtigen Rundblick über die noch verschlafene Insel. Als ich zurück komme ist immer noch kein Leben in unsererem Lager. Um kurz vor Acht lugen die ersten Sonnenstrahlen über den Hügel und kurz danach auch meine Mitstreiter aus ihren Stoffhütten.


Es ist ein wunderschöner Morgen, den wir in aller Ruhe und mit großer Sorgfalt genießen. Nach dem Frühstück rückt Trenk mit der Botschaft heraus, dass er sich gestern seinen Rücken wund gepaddelt hat. Das war im Wesentlichen der Grund, weswegen er in Kolby Kaas Erleichterung am Strand gesucht hat.  Er murmelt etwas davon, dass er möglicherweise die Fähre nehmen muss. Nach einer eingehenden Untersuchung werden die nässenden Wunden dick mit Wundauflage gepolstert und diese mittels Klebeband fixiert. Damit sollte er besser paddeln können als jemals!

Ein gemeinsamer Besuch des Hügels ist fällig. Schon auf dem Weg dorthin werden wir von mehreren Schüssen aufgeschreckt. Das kennen wir schon von anderen Touren: im Herbst wird in Dänemark auf alles geballert, was nicht bei drei hinterm Horizont verschwunden ist! Uns ist etwas mulmig zumute, aber wir gehen davon aus, dass wir hinreichend deutlich von Hasen und Moorhühnern zu unterscheiden sind, so dass man schon nicht auf uns schießen wird. Vom Gipfel des Hügels kann man die Geländewagen der Ballermänner in der Landschaft stehen sehen. Wir denken uns weiter nichts dabei und trotten zu unseren Zelten zurück, doch kaum von der Spitze des Hügels hinabgestiegen, kommt ein Geländewagen die Koppel hochgeprescht. Dies sei Privat-Gelände, werden wir belehrt, und man dürfe hier nicht spazieren gehen. Wir bringen unsere Unkenntnis und Bedauern zum Ausdruck. Man versichert uns, dass es nichts mache, aber dass es eben Privatgelände sei und man es nicht betreten dürfe. Auch als der Geländewagenfahrer schließlich unsere Zelte entdeckt (welcher Idiot baut denn auch sein orangenes Zelt weithin sichtbar auf?), belehrt er uns, dass es nichts mache, aber dass es nicht erlaubt sei. Wir entschuldigen uns abermals und versichern, dass wir umgehend verschwinden werden. Wir bekommen noch den Hinweis, dass mit diesem Gespräch bereits alles geregelt sei, sollte der Mann von der anderen Farm uns noch ansprechen.

Kaum sind wir bei unseren Zelten angelangt, kommt auch schon ein Riesentrecker über den Acker geöttelt. Der Fahrer darin blickt erheblich grimmiger drein, als sein Kollege von vorhin. Auch von ihm erhalten wir die Belehrung, dass es sich hier um Privatgelände handele, das man nicht betreten und schon gar nicht bezelten dürfe. Auf unsere Auskunft, dass wir unverzüglich weiter nach Tunö paddeln wollen, erhalten wir noch den Hinweis, dass schlechtes Wetter im Aufzug sei. Bei aller Grimmigkeit der beiden Bauern ist uns nicht ganz klar, was eigentlich der wirkliche Grund für die massive Intervention ist. Wir vermuten, dass man gerne ungestört dem Jagdgeschäft nachgehen möchte und keine Rücksicht auf irgendwelche in die Schusslinie geratenden Paddler nehmen möchte.


Die Sachen in die Boote verstauen dauert nicht lange und so rutschen wir bald den steilen, steinigen Strand hinunter ins grünblaue Wasser. Wir wollen erst einmal dicht an der Küste entlang nach Norden paddeln. Dort wo ihr Verlauf einen deutlichen Knick nach Osten macht, wollen wir entscheiden, ob Trenk alleine weiter Richtung Fährhafen fährt oder mit uns nach Tunö quert. Der Wind kommt heute noch südlicher als gestern, so dass es keine große Anstrengung bedeutet, am Strand entlang zu rutschen. Nach wenigen Kilometern tauchen zwei Schweinswale dicht vor uns auf. Es handelt sich vermutlich um Mutter und Kind, denn das eine Tier ist deutlich kleiner als das andere. Sie haben die gleiche Richtung wie wir, aber nach ein paar Mal Auftauchen bleiben sie verschwunden.

An der Stelle, wo sich der Küstenverlauf von Samsö nach Osten zurückzieht, einige Kilometer vor dem Fährhafen Sälvig, legen wir eine Pause ein. Hier gibt es ein Tisch-Bank-Kombi, an der wir uns bequem entspannen und stärken können. Vom nahen Hügel hat man einen wunderbaren Blick auf die Umgebung. Die Sicht ist heute deutlich besser als gestern und man kann unser Ziel Tunö bereits schwach im Dunst erkennen - aber das gute zehn Seemeilen entfernte Festland kann man beim besten Willen nicht ausmachen. Trenk hat die Sache mit der Fähre längst abgetan - viel zu gut hat Peters medizinische Behandlung gewirkt. Wir gehen die Überfahrt auf direktem Wege an, gute zwölf Kilometer offenes Wasser bei Windstärke fünf genau von hinten!


Je weiter wir uns vom Ufer entfernen, desto weißer wird das Wasser um uns herum. Der lange Fetsch beschert uns Wellen bis einen Meter Höhe und ich bin froh, mit so kompetenten Paddlern unterwegs zu sein. Obwohl ich es ausdrücklich nicht darauf anlege, erwische ich immer wieder den einen oder anderen Surf, der mich gefühlte hundert Meter mit zehn Knoten nach vorne preschen lässt. Trenk genießt hier in vollen Zügen, sich nicht um zahlende Klienten kümmern zu müssen, und haut rein, was das Zeug hält. Nur Peter kann die Verhältnisse nicht uneingeschränkt genießen, weil sein Skeg Probleme macht. Jeder andere wäre in so einer Situation mit nicht korrekt funktionierendem Skeg vermutlich verzweifelt - nicht so Peter, der geduldig sein bockiges Schiff immer wieder zurück auf den korrekten Kurs bringt. An der Sandbarre am Ostzipfel von Tunö können wir noch einmal kurz kleine Brandungswellen genießen, bevor wir in das komplett ruhige Wasser an der Nordseite der Insel eintauchen.

Ich habe mit meinem GPS-Gerät einen Punkt ausgemacht, der mit "Drinking water" bezeichnet ist. Das muss der Übernachtungsplatz sein, habe ich messerscharf geschlossen. Als die Rest-Entfernung bis zum markierten Punkt noch etwa dreihundert Meter beträgt, entdecke ich eine der komfortablen Tisch-Bank-Kombinationen und beschließe, hier anzulanden. Ich versuche noch, den einprogrammierten Punkt mit meinem GPS-Gerät an Land exakt zu finden, kann aber nichts entdecken, was einem Übernachtungsplatz ähnelt. Erst als ich den am Tisch pausierenden Dänen frage, weist er in die entgegengesetzte Richtung und bestätigt, dass es dort tatsächlich Trinkwasser gibt. Wer immer den Punkt in die Karte programmiert hat, er lag satte 500 Meter daneben!

Der Übernachtungsplatz liegt im Wald, und dessen Tisch-Bank-Kombinationen ist bereits belegt von einer Schulklasse, die sich dort mit zwei großen Zelten niedergelassen hat. Da im Wald keine Sonne scheint und man nicht aufs Wasser blicken kann, bleiben wir hier und machen eine ausgiebige Kaffee-Pause. Erst danach schaffen wir unsere Boote mit den Bootswagen zum Platz unter den Bäumen, wo wir unsere Zelte aufbauen. Der Tag ist noch jung und die Insel unbekannt. Also machen wir einen Spaziergang zum Dorf Tunö, dessen Kirche und seinen Hafen. Anders als z.B. auf Lyö, wo so viele Häuser "Til Salg" gehören, scheint hier der Exodus noch nicht eingesetzt zu haben. Es ist überall Leben zu spüren und dass es sich für die Einwohner der Insel lohnt. Das spiegelt sich auch im Hafen wieder, der alle Annehmlichkeiten bietet, die man sich als Urlauber nur wünschen kann: Aufenthaltsräume mit Kochgelegenheiten, überdachte Grillplätze, natürlich Toiletten und Duschen und sogar einen Fahrradverleih. Die Insel böte sich für ein Standlager an, wenn man die Gegend hier einmal etwas intensiver erkunden wollte. Aber so einfach wie die dänische Südsee ist dieses Revier hier leider nicht - es ist eher so etwas wie die dänische Südsee für Erwachsene: die Entfernungen sind weiter und die Fahrten ausgesetzter. Da kann ein Durchschnittskanute schnell mal überfordert werden.

Heute sind wir bereits im Urlaub angekommen - der Alltag ist weit hinter uns gelassen, und wir sind gründlich ausgeschlafen. So sitzen wir diesmal noch lange nach dem gemeinsamen Abendbrot zusammen und ziehen uns erst so gegen neun Uhr in die Zelte zurück.

Freitag, 3. Oktober 2014

Sommer auf Samsö - im Oktober! (1/3)

"Immer wenn ich merke, dass ich um den Mund herum grimmig werde; immer wenn in meiner Seele nasser, niesliger November herrscht; immer wenn ich merke, dass ich vor Sarglagern stehenbleibe und jedem Leichenzug hinterhertrotte, der mir begegnet; und besonders immer dann, wenn meine schwarze Galle so sehr überhandnimmt, dass nur starke moralische Grundsätze mich davon abhalten können, mit Vorsatz auf die Straße zu treten und den Leuten mit Bedacht die Hüte vom Kopf zu hauen - dann ist es höchste Zeit für mich, sobald ich kann, auf See zu kommen."

Wie es aussieht, geht es uns allen dreien ganz ähnlich - nur dass wir nicht wie Ismael unseren ganzen Lebensweg umbiegen, um fortan auf der "Pequot" einem weißen Wal hinterher zu jagen. Wir begnügen uns damit, ein klitzekeines Wochenende dem Alltag zu entkommen, in unseren klitzekleinen Booten über die Ostsee zu schippern, ein bisschen Wind der ganz großen Freiheit durch unsere Gemüter wehen und unsere Seelen durch die Sonne von Samsö wärmen zu lassen.

Der Termin war bereits im April verabredet, während unserer Tour nach Hooge. Als Ersatz für Jörg, der "kurz" nach Korsika musste, konnten wir Peter gewinnen, der immer gut ist für ein spontanes "Ich bin dabei!". Nun könnte man meinen, dass bei einem so langen Vorlauf alles bestens geplant und vorbereitet ist. Aber der nasse, nieslige Alltag hatte uns bis zum Schluss so fest im Griff, dass wir froh sein konnten, wenigstens unsere Ausrüstung und Verpflegung rechtzeitig zusammengesammelt zu bekommen. Außerdem wird Planung eh vollkommen überbewertet. Ein Kajak, ein Zelt, hinreichend Frischwasser, ein Schlafsack und etwas Zeit - was braucht man mehr, um eine anspruchsvolle Paddeltour zu unternehmen?

Die Wettervorhersage hat für das gesamte Wochenende sehr südliche und ein wenig östliche Winde angekündigt, aber alles innerhalb eines zu bewältigenden Rahmens. So müssen wir uns also nicht wie vor zwei Jahren ein neues Ziel suchen, sondern können die im Laufe der lockeren Abstimmung aufgekommene Option "Samsö" tatsächlich in Angriff nehmen. "100 Kilometer - drei Tage? Das kann man doch schaffen!" Trenk ist noch im "Was kostet die Welt?"- und "Wir sind schließlich starke Paddler!"-Modus als ich ihm am Donnerstag Abend die Komplett-Umrundung Samsös ausreden will. "Okay - wir fahren los und sehen, wie weit wir kommen.". Er wäre auch schon am Donnerstag Abend losgefahren, aber auch das hatten wir bereits als nicht "urlaubskompatibel" abgelehnt. So mache ich mich mit Peter am Freitag Morgen daran, unsere Navi-Apps dazu zu überreden, uns zu Trenks Domizil zu leiten. Das beginnt schon mal mit einer Auseinandersetzung mit der Navi-Stimme darüber, wie man am besten aus Kiel heraus findet. Wir machen der Dame im Gerät auf höfliche Art klar, dass wir uns hier besser auskennen und hoffen, dass sie uns diese Überheblichkeit nicht übel nimmt, wenn wir uns später auf uns unbekanntem Terrain befinden. Nach Passieren der Landesgrenze muss Peters App die Navigation übernehmen, denn die hat Offline-Karten zur Verfügung - und außerdem hat sie auch die angenehmere Stimme!

In Hov steht uns eine neue Mauer im Weg, die verhindert, dass wir bequem nahe am Strand parken können. Hier sollen neue Ferienhäuser gebaut werden, also müssen wir auf dem Parkplatz des Fähranlegers bleiben. Wir machen noch einen halbherzigen Versuch, die Abfahrtzeiten der Fähre von Samsö herauszubekommen, haben aber keinen wirklichen Erfolg. Das hätte man natürlich auch im Internet nachsehen können, aber Planung - das Thema hatten wir ja schon. Die großen Mengen angespülten Tangs und Seegrases stinken bestialisch, als wir unsere fertig gepackten Boote darüber tragen. Von unserem Ziel ist nicht das geringste zu sehen - die Sicht beträgt nur eine halbe Handvoll Kilometer. Weil heute der Tag mit dem schwächsten Wind sein soll und er durchgehend von Süden wehen wird, wollen wir erst einmal bis zum Leuchtturn Vesborg, ganz im Süden von Samsö fahren. Das sind etwa 24 Kilometer, danach sehen wir, wie weit Tagesform und -licht uns noch lassen.

Aufgrund meiner Rechenschwäche hatte ich im Auto noch behauptet, wir würden etwa  drei Stunden für die Überfahrt benötigen. Als ich um kurz vor zwei auf dem Wasser unsere Ankunftszeit abschätze, muss ich erkennen, dass 24km bei 6km/h aber eher vier Stunden sind als drei. Das heißt, dass wir nicht vor halb sechs am Leuchtturm ankommen werden. Sonnenuntergang ist etwa halb sieben, da wird sich also nicht mehr viel abspielen, wenn wir einmal an Land sind. Noch liegen aber etliche Stunden weitgehend ereignisloses Paddeln gegen einen konstant wehenden Dreier-Wind vor uns. Wegen der schlechten Sicht sieht man nur blass-graues Wasser und blass-blauen Himmel um uns herum. Ich mache nach jeder vollen Stunde einen kurzen Halt und überprüfe auf dem GPS unser Fortkommen. Das ist meine erprobte Technik, um einen eigentlich viel zu großen Happen in kleinere, leichter verdauliche Stücke zu zerlegen. Fünf Minuten vor der letzten Pause passieren wir die einzige Tonne, der wir unterwegs begegnen, und meine Mitfahrer beschließen, dass diese Stunde fünf Minuten kürzer ist. Während wir antriebslos auf dem Wasser dümpelnd unsere Stullen mümmeln und etwas trinken, treibt uns der Wind emsig zu unserem Ausgangspunkt zurück. Dadurch, dass wir uns so dicht an der Tonne befinden, sieht man diesen frustrierenden Effekt leider besonders deutlich.


Als wir dicht an Kolby Kaas vorbeifahren, muss Trenk zur Erleichterung an den Strand. Wir verabreden, dass wir schon weiterfahren und nach einem geeigneten Platz für die Nacht Ausschau halten. Es hat etwas aufgeklart, die Sonne ist durch den trüben Himmel gebrochen und nach nur wenigen Kilometern fällt Peter auf, dass das Ufer hier wie ein prima Zeltplatz aussieht. Recht hat er, denn direkt oberhalb des Strands aus groben Kieseln liegt ein Stück Brachland, das alles bietet, was es zum Errichten einer Heimstatt braucht: ebenen, grasbedeckten Grund, Sicht- und Windschutz - und einen freien Blick aufs Meer!

Den Rest des Abends genießen wir die untergehende Sonne, die Stille, die Rouladen mit Spätzle und den aufgehenden Mond. Allerdings zeigen der lange Arm des Alltags und die nicht anstrengungsfreie Überfahrt bald ihre Wirkung: um halb Acht stellen meine Begleiter fest, dass es bereits stockduster und damit Zeit ist, ins Bett zu gehen! Ich liege noch eine Weile im offenen Zelteingang und schaue dem Halbmond dabei zu, wie er seine Bahn über das Firmament zieht und das Wasser dabei zum Funkeln bringt. Das Rauschen der Wellen gehört zur Stille, die durch nichts sonst gestört wird. Nur ab und zu tuckert eine Fähre vorbei.

Sonntag, 17. August 2014

Grenzüberschreitungen 2014

Für meine zweite diesjährige Tour habe ich für die Dokumentation einmal eine andere Darstellungsart gewählt. Google hat ein neues Tool im Beta-Test, das ich mal ausprobieren wollte:
https://tourbuilder.withgoogle.com/



Mal sehen, wie es sich bewährt und ob ich es in Zukunft weiter nutzen werde.

Sonntag, 3. August 2014

Nordsee-Einsteiger 2014 - oder: Spaß mit Johanna

Eigentlich stand sie gar nicht auf der Liste - aber dafür am Montag in Rollschuhen vor der Bootshalle. "Die Nordsee-Tour ist wohl nichts für mich, oder?" "Komm' am Mittwoch vorbei. Dann werden wir sehen." Auch wenn ich an Johannas Kraft, ihre Ausdauer und vor allem ihre Leidensfähigkeit glaube, will ich doch wenigstens noch einmal sehen, ob sie die Strecke bis zur Glockentonne problemlos bewältigt. Bei dem Test hat mich dann auch noch Uschi so überzeugt, dass ich meine ursprüngliche Absage an sie wieder zurückgenommen habe. Somit startet die diesjährige Nordsee-Einsteigertour also mit  sieben Teilnehmer.

Immerhin bin ich ja lernfähig und habe diesmal zur Bedingung gemacht, dass jeder eine Seekarte mit sich führt. Auch solle man sich darauf gefasst machen, dass es Aufgaben zu bewältigen gibt. Ich wollte auf jeden Fall vermeiden, dass sich alle wieder auf mich verlassen und darauf bauen, dass ich sie schon durch die Nordsee führen werde, ohne dass sie selbst auf irgend etwas achten müssen.

Am Anleger treffen von Schlüttsiel wir noch zwei alte Bekannte: Udo B., der mit seiner Frau nach Oland fahren will und Sigurd S., der sich Udo anschließen wollte, aber viel zu spät ist und ihm hinterherpaddeln muss. Ich erkläre Olav und Helge dafür verantwortlich, uns von Schlüttsiel nach Hooge zu bringen. Es ist beileibe keine große Tat, denn im Prinzip könnte man sich bewegunglos ins Boot setzen und warten, bis einen die Tide an Hooge vorbeispült. Außerdem ist die Nordsee wieder einmal Augsburger-Puppenkistenmäßig platt - kein Lüftchen kräuselt die Oberfläche und es ist so warm, dass ich ohne Hemd und mit offener Spritzdecke fahre.

Meine Vorgabe war, nicht etwa durchs Langeness-Fahrwasser sondern zur Süderaue zu fahren. Aufmerksam registrieren die beiden Navigatoren die Beschriftung der Tonnen, an denen sich mit zunehmender Fahrtdauer die zunehmende Strömung zunehmend bemerkbar macht. Als wir einmal in der Nähe einer recht großen Tonne direkt auf diese zufahren, kann man überdeutlich sehen, dass es einen einmal nach rechts und unmittelbar danach wieder nach links versetzt - wie das Wasser davor also in Schlangenlinien strömt.

Verabredungsgemäß macht die Gruppe vor der Tonne SA18 Halt. Hier fordere ich sie wieder auf, die genau südlich liegende grüne Tonne an ihrer linken Seite zu passieren. Da man dazu genau quer zum Strom fahren muss, muss man deutlich vorhalten und ernsthaft paddeln, will man nicht im letzten Moment auf die Blechkanne gespült werden. Da die Hallig hier schon sehr nah ist und einen perfekten Hintergrund bietet, kann man wunderschön sehen, ob der eigene Vorhaltewinkel stimmt, oder die Strömung die Oberhand hat.

Im Laufe der Fahrt kommt eine weitere Gruppe Paddler von hinten auf. Man kann sie lange vorher hören. Nachdem sie uns überholt hat, kann man in weiter Ferne eine dritte Gruppe hören. Der Schall trägt ungemein weit auf unbewegtem Wasser, denn man kann die Verfolger bislang kaum sehen. Als wir am Steindamm vor dem Hooger Hafen aus unseren Booten steigen, höre ich eine bekannte Stimme von hinten pöbeln: "Habt ihr kein Zuhause?". Trenk ist mit einer Gruppe von vier Paddlern ebenfalls unterwegs. Wenn wir schon im Sommer nicht mehr zusammen paddeln können, ist es doch schön, sich per Zufall zu treffen!

Ich hatte damit gerechnet, dass der Zeltplatz dicht belegt sein würde, aber außer den drei praktisch
gleichzeitig eingetroffenen Gruppen, ist niemand da. Auch der Segelhafen ist so gut wie leer. Ein ruhiges Wochenende droht uns. Es wird kurz der Zeitplan für morgen abgesprochen - wir hatten ja alle relevanten Zeiten, Entfernungen und Fahrtdauern am vergangenen Mittwoch ausgerechnet.

Nach dem Aufstehen prüfe ich kurz die Wetterlage mit Hilfe von Trenks Smartphone. Die Windvorhersage für heute hat sich gegenüber der von gestern wieder etwas beruhigt, so dass unserem Plan, zur Pallas zu fahren, nichts entgegensteht. Heute lege ich die Navigation in die Hände von Michael und Peter. Die Zeiten hatten wir ja schon am Mittwoch errechnet, nun müssen auch noch die Kurse bestimmt werden, die uns hin- und möglichst auch wieder zurück bringen.

Die beiden sind sehr abgeklärt und wählen einen für mich zwar überraschenden, aber sehr solide fahrbaren Kurs. Natürlich wollen wir zunächst eine Pause auf Jappsand machen, das war Vorgabe, aber dann soll es die Süderaue komplett raus ein gutes Stück in Richtung Amrum gehen und nach der Passage des Schmaltiefs ins Rütergatt. Vor dort aus kann man einfach dem Tonnenstrich folgen und landet praktisch ohne Vorhalt an der Pallas. Nicht der direkteste Weg aber vielleicht der einfachste.

Der Wind weht recht konstant mit etwa drei bis vier Beaufort aus Südost. Das lässt kaum Wellen entstehen, aber die Strömung am Zusammenfluss von Norder- und Süderaue ist natürlich immens und lässt die Wasseroberfläche köcheln. Das sind ungewohnte Wellen, die es so auf der Ostsee kaum gibt. Als wir die rot-grüne Tonne am Eingang zum Rütergatt passieren, ist deutlich, dass die Verhältnisse einen ständigen Stress verusachen. Das würde die nächsten vier Stunden nicht besser werden. Ich gebe den Kniepsand als neues Ziel aus, für den der bisher gefahrene Kurs eh genau die Ideallinie dargestellt hat.

Die lange Pause auf dem verschwenderisch breiten Strand von Amrum wird komplett im Urlaubsmodus verbracht. Alle gehen schwimmen, fast alle zum Kiosk ein Eis essen, und manche lassen sich den Pelz verbrennen...

Für die Tour zurück übertrage ich Johanna und Uschi die Navigationshoheit - aber mir ist klar, dass ich eher selbst dir Richtungen angeben muss, denn für beide ist Paddeln unter den hiesigen Bedingungen noch  eine komplett neue und unbekannte Welt. Ich zeige kurz auf der Karte, welche Tonnen wir wie anvisieren und wie wir von der einen zu anderen kommen wollen. Es ist hier schon zu spüren, dass meine eindringliche Ansage "die müssen wir links liegen lassen", noch nicht in der Tiefe verstanden wird, in der sie gemeint ist.

Nachdem wir die geschützen Gefilde des Kniepsandes verlassen haben und wieder in die Turbulenz der strömenden Priele eingetaucht sind, ist es mit der Entspanntheit auch gleich vorbei. Es spritzt und schwabbelt und den Kurs zu halten, ist nicht mehr ganz einfach. Ich fahre so, dass wir alle Verschneidungszonen rechtwinklig durchqueren, um nicht unnötige Unsicherheiten zu provozieren. Der Strom geht fast exakt quer zu unserer Fahrtrichtung und wir müssen gute 45 Grad vorhalten. Die Gewalt, mit der wir versetzt werden, beeindruckt alle sichtlich. Trotzdem produzieren wir eine sehr gerade Spur auf dem GPS-Log mit ganz ordentlicher Geschwindigkeit.

Ich sehe, wie Johanna häufig Mühe hat, die Nase ihres Bootes gegen den halben Wind in der
gewünschten Richtung zu halten. Immer wieder wird sie nach Lee verweht und muss sich mühselig mit Bogenschlägen zurück auf Kurs bringen. Als sie schließlich zu Konterschlägen greift, ist das für mich das Zeichen, dass sie den Bedingungen nicht gewachsen ist. Ich schließe zu ihr auf und frage, ob sie denn den Schieber für das Skeg auch ganz nach vorn geschoben hat. "Ja, habe ich!". Nun, dann ist das Mädel schlicht zu leicht und das kriegen wir so schnell nicht korrigiert. Aber ich weiß ja, dass sie über einen beeindruckenden Willen und eine ebensolche Leidensfähigkeit verfügt, so dass ich nicht im Geringsten beunruhigt bin. Als es bereits in der Nähe von Jappsand besonders verzweifelt ist, schicke ich Peter zu ihr, der sie etwas vom Wind abschirmen soll. Das funktioniert nur suboptimal so dass ich zusätzlich auf ihre Lee-Seite fahre und sie mit dem Paddel immer wieder auf Kurs drücke. Als Peter ihr besonders nahe kommt, fällt sein Blick auf den Skeg-Schieber an ihrem Boot und er sagt ungläubig: "Der ist ja gar nicht vorne!". Na ja: vorne und hinten kann man schon mal verwechseln. Nach der Korrektur ist es ein Kinderspiel für Johanna, ihr Boot auf Kurs zu halten. Nach dieser Selbstkasteiung gönnt sie sich in der Pause auf Jappsand ein ausgiebiges Bad, bei dem sie mit zwei Seehunden Ringelpiez mit Abtauchen spielt. Wir laufen genau mit Hochwasser in den Hooger Segelhafen ein und genießen den komfortablen Ausstieg direkt über die Wiese, ohne die Boote schleppen zu müssen.

Der Abend ist meiner langjährigen Tradition folgend dem Friesenpesel gewidmet. In lauer Luft schäkern wir mit der redseligen Aushilfsbedienung, und ich muss zum wiederholten Male feststellen, dass das Salzlamm in Riesling-Sauce einfach göttlich schmeckt. Heute wundere ich mich nur, dass meine Mitpaddler mir freiwillig den größten Teil der Kartoffelrösti überlassen. Beim Heimweg machen wir noch einen kleinen Abstecher zum Fähranleger um die Ecke. Johanna muss am Sonntag Abend zu einem Geburtstag in Hamburg sein und will daher gleich morgen früh mit der Fähre zurück. So weiß sie also genau, wo der Anleger ist und kann sehen, wieviel Zeit der Weg in Anspruch nimmt.

Da die Fähre bereits morgens um acht ablegt, muss Johanna bereits sehr früh aufstehen, ihre Sachen zusammen und ins Boot packen und sich auf die Socken machen. Obwohl wir für den Sonntag die Urlaubsvariante mit lange Ausschlafen und viel Zeit gewählt haben, habe ich mir extra den Wecker gestellt, um sie zu verabschieden. Ich kann ja nicht einfach eines meiner Schäfchen ohne Gruß ziehen lassen - noch weniger könnte ich mit ansehen, dass sie vielleicht verschläft und dadurch die Fähre verpasst. Aber als ich aus dem Zelt komme, hat Johanna ihre Sachen schon größtenteils zusammengepackt und sitzt gemütlich beim Kaffee. Als wir sie verabschieden, hat sie alle Zeit der Welt, den Weg bis zur Fähre zurückzulegen, so dass ich mich beruhigt wieder in meinen Schlafsack zurückziehe.

Nach einer guten Stunde strecke ich meinen Kopf wieder aus dem Zelt - und sehe Johanna ihr Boot hinter sich her ziehend zum Zeltplatz zurücktrotten! Was ist passiert? Keine Fähre am Sonntag? Kein Geld dabei? Dem Kapitän vors Schienbein getreten? Nein, die Lösung ist ganz einfach: um zum Anleger zu kommen, muss man bei der Kirchwarft links abbiegen, so wie wir es gestern zweimal gemacht haben. Wenn man aber im Halbschlaf und "Kopf-unten-und-nix-denken-Trott-Modus" immer gerade aus geht, landet man auf der Hanswarft. Dort haben Jogger Johanna dann geweckt und gefragt, wo sie denn mit dem Boot hin will. Danach sind alle zusammen über die Hallig zum Anleger gejoggt. In Rekordzeit eine Minute nach Acht dort angekommen, konnten sie dem heute bereits eine Minute vor Acht abgefahrenen Dampfer noch hinterherwinken! Aber im Grunde wollte Johanna ja von Anfang an mit uns zurück paddeln!

Das gesamte Wochenende herrscht ein unglaublich schönes Wetter mit Sonnenschein und angenehmen Temperaturen. Nur mäßiger Wind und kein Regen. Na ja, fast kein Regen: nur in der Nacht zu Sonntag, als der Wind so arg an Johannas Zelt gerüttelt hat, dass sie sich mit ihrem Schlafsack lieber davor gelegt hat, nur da sind tatsächlich ein paar Tropfen Regen gefallen, gerade so viele, dass Johanna sich doch lieber wieder ins Zelt zurückzog. Bei diesem fantastischen Wetter also machen wir einen ausgiebigen Spaziergang über die Hallig. Auf der Einkaufswarft erbost Peter die Betreiberin des Souvenierladens, indem er ihr unterstellt, sie verkaufe Plastikflaschenpostflaschen, die die Kinder dann ins Meer schmeißen, wo sie riesige Müllteppiche bilden. Dabei steht da fett draufgedruckt: "Nicht ins Meer schmeißen!". Peter rudert heftig rückwärts, um die aufgebrachte Frau wieder etwas zu beruhigen. Uschi und ich erstehen einige Postkarten, von denen ich eine direkt an Klaus-Peter schicke - als Ersatz für die vergessene aus meinem Österreich-Urlaub.

In unseren Vorräten befinden sich noch große Mengen roter Grütze, die wir unmöglich wieder mit zurück nehmen können. Also versammeln wir uns vor der Abfahrt noch einmal unter dem gegen die gnadenlos brezelnde Sonne aufgespannten Tarp, um Erdbeer- und Gartenfruchtgrütze zu löffeln - wahlweise mit Vanillesauce oder griechischem Joghurt.

Sobald der Wasserstand es zulässt, bringen wir die Boote über die Rampe und machen uns auf den Heimweg. Navigation ist heute nicht notwendig, wir wollen einfach nach Hause. Der Wind hat über Nacht gedreht, er weht nun ziemlich genau aus West. Auch die Strömung geht in dieselbe Richtung. Wir könnten im Fahrwasser fahren und alles wäre einfach und leicht und - langweilig. Also biege ich unvermittelt ab und wähle einen Kurs quer über die Flachs und zwischen den Sandbänken. Hier schwabbelt das Wasser zwar wieder etwas, was nicht allen gefällt, aber auf dem "Hasenweg" hätte niemand etwas gelernt und niemand hätte die Flachs, über die wir uns stochern, auch nur gesehen.

Gegen Ende des Weges werden die Bedingungen zum Surfen immer besser und alle nutzen diese Gelegenheit nach ihrem jeweiligen Vermögen. Bei Michael und Olav macht sich deutlich eine gewisse Routine bemerkbar. Sie agieren sichtlich entspannter als noch im vergangenen Jahr und sind meist vorne zu finden. Ich gebe Michael, der eindeutig der beste Navigator ist, nach jedem Abschnitt meinen Plan bekannt und kann mir sicher sein, dass er ihn eigenständig verfolgt, auch wenn er weit vor mir fährt.

Kurz vor dem Einlaufen in den Hafen von Schlüttsiel überhole ich die gesamte Gruppe, um zu sehen, ob sie es schaffen kann, vor der uns verfolgenden Amrum-Fähre ins Hafenbecken einzulaufen. Als ich wende und die Positionen der Fähre und der Gruppe sehe, weiß ich, dass das nichts werden kann. Also postiere ich mich südlich der Hafeneinfahrt außerhalb des Fahrwassers, in der festen Annahme, dass alle auf mich zufahren werden. Tun auch alle. Fast alle. Leider ist Johanna aber gerade so mit Surfen beschäftigt, dass sie für nichts anderes ein Auge hat und diagonal ins Fahrwasser driftet - der Fähre genau vor die Nase. Mir stockt der Atem und ich versuche, sie anzurufen, gestikuliere wild mit Armen und Paddel - aber der einzige, der Notiz davon nimmt, ist vermutlich der Kapitän der Fähre, denn der fährt weiter in aller Seelenruhe von hinten auf die Paddlerin zu und lässt sein Typhoon unangetastet. Ich sehe Johannchen schon im Schaum zerschreddert werden, als Helge, der etwas näher dran ist, sie anruft, was sie veranlasst, sich erst umzudrehen und dann kleinlaut wieder hinter die Pricken zu verziehen. Geht doch!


Montag, 9. Juni 2014

Kieler Bucht - halbrund - Westflanke (3/3)

Schleimünde  hat keine Windräder - aber einen Flaggenmast, der einem die Windrichtung verrät. Nördlich sagt der. Fast fühlen wir uns verwöhnt, wir hätten es nicht besser planen können; drei Tage ausgesetzte Touren auf dem Wasser und keine widrigen Winde, einmal fast Flaute und zweimal Rückenwind - was will man mehr.

Zusammen mit einer beträchtlichen Horde Segelyachten zwängen wir uns durch das Nadelöhr Schleimünde. Wir müssen sogar etwas zickzack fahren, um nicht mit einem der vielen weißen Rümpfe in Konflikt zu geraten. Einmal draußen nehmen wir geraden Kurs auf Bülk: 156 Grad. Aber genau genommen muss man gar nicht auf den Kompass schauen, sondern einfach nur dem Pulk der zahllosen Segler folgen, dann kann nichts schief gehen. Allerdings ist das mit dem Folgen insofern schwierig, als wir einen klitzekleinen Tuck schneller sind als unsere windabhängigen Gefährten. So lassen wir eine Yacht nach der anderen hinter uns, ernten von respektvollem, freundlichem Gruß bis hin zu demonstrativer Ignoranz das gesamte Spektrum möglicher Grußreaktionen.

Wir wollten ausdrücklich keine Rücksicht auf das Schießgebiet nehmen, das weit draußen vor Schwansen liegt. An Pfingsten wird schon nicht geschossen werden, war unser Ansatz. Aber unser direkter Kurs bringt uns exakt zur südwestlichen Begrenzungstonne des Sperrgebietes, so dass wir uns problemlos regelkonform verhalten können. Zu unserer Verwunderung kreuzt auch kein einziges Segelboot das gekennzeichnete Areal. Das habe ich auch schon anders erlebt.

Mit zunehmender Strecke dreht der Wind immer mehr auf Ost und er nimmt auch etwas zu. Das führt dazu, dass uns nach und nach alle bislang überholten Yachten wieder einholen und davonziehen. Als wir eine etwa zehnminütige Pause einlegen, können wir sehen, wie weit ein Segelboot in so einer vermeintlich kurzen Zeit kommt. Die Bedingungen sind vollkommen harmlos, fast lieblich, aber das schützt nicht vor Überraschungen. Bei irgendeinem harmlosen Manöver verhake ich mich mit dem Paddel im Wasser, so dass ich nur knapp einer Kenterung entgehe. Ich denke, ich hätte es überlebt, aber peinlich wär's schon gewesen.

Wir sind seit drei Tagen druckvoll auf langen Schlägen unterwegs. Auch heute liegt unser Pensum nur knapp unter dreißig Kilometern. Trotzdem sind wir nicht am Ende mit unseren Reserven und halten eine konstante Geschwindigkeit über die gesamte Zeit. Genau vier Stunden nach der Abfahrt in Schleimünde schlagen wir an derselben Stelle an, an der wir am Samstag morgen gestartet sind.